Für mich ist es der erste
Flic Flac-Besuch seit Februar 2020, als das Unternehmen kurz vor
der Pandemie-bedingten Zwangspause in Frankfurt am Main spielte.
Flic Flac auf dem
Friedrichsplatz in Kassel
Beim Wiedersehen
in Kassel wird mir klar, was ich seitdem entbehren musste.
Starke Darbietungen, die für sich stehen, ein ungemein flotter
Ablauf, eindrucksvolle Bilder bei Opening und Finale, ein
imposanter Artisteneingang mit einzigartigen visuellen Effekten,
eine exzellente Soundanlage und ein – Entschuldigung – geiles
Lichtdesign. Und das, obwohl die Sparte Comedy in dieser Show
nicht besetzt ist oder, wenn man es wohlwollend betrachtet, sich
auf zwei kurze Einlagen beschränkt.
Pausenankündigung mit Hund
Eine davon sind
die Sicherheitshinweise. Eine blonde Frau informiert auf
originelle Weise mit überdimensionaler Zigarette und
Fotoapparat, was verboten und was erwünscht ist. Begleitet wird
sie dabei von einem Hund. Keiner zuckt mit der Wimper. 2017/18
gab es noch einen Aufschrei bestimmter Gruppierungen, als an
gleicher Stelle Rosi Hochegger mit Hunden und Pferd auftreten
sollte. Die Nummern wurden letztendlich nicht gezeigt. „An/Aus“
ist das Motto des Openings. Die Artisten, welche hier auch
namentlich vorgestellt werden, tragen Mäntel mit jeweils einem
der beiden Worte auf dem Rücken. Dazu singt Frank Fabry das Lied
„Licht“. Der charismatische Sänger mit der rauchigen Stimme
begleitet uns durch die Show. Immer wieder interpretiert er
einen seiner Songs. Die Ansagen kommen hingegen aus dem Off.
Soffien und
Karim Messoudi, George Gummi, Denys Zhygaltsov
Den artistischen
Auftakt machen Soffien und Karim Messoudi. Bei ihren Passings
mit drei Keulen tauschen sie, quasi nebenbei, die Kleidung. Die
Anzüge der beiden sind in gelb beziehungsweise schwarz gehalten.
Als netten Nebeneffekt dieser mit einem Augenzwinkern
präsentierten Jonglage zeigen die beiden ihre bestens
trainierten Körper. Bei George Gummi ist der Künstlername
Programm. Weder ist er reiner Klischnigger noch Kontorsionist.
Er verbiegt sich einfach in alle möglichen und unmöglichen
Richtungen. Gleich zu Beginn lässt er sich von vier Helfern in
der Vertikalen verdrehen. Zwei halten ihn an den Beinen fest und
zwei an den Armen. Da schmerzt das Zuschauen, wohingegen George
sichtlich mit Spaß bei der Sache hat. Denys Zhygaltsov gibt den
formvollendeten Gentleman. In schwarzer Hose und Weste sowie mit
blütenweißem Hemd arbeitet er am Flying Pole. Perfekte
Körperbeherrschung und ein guter Schuss Nervenstärke sind
notwendig, um diese Darbietung zu zeigen. Denys Zhygaltsov
bringt zudem noch Kreativität und eine sehr sympathische
Ausstrahlung mit.
Duo On
Edge, Max-4, Exit 15
Messerwerfer-Darbietungen, bei denen die Partnerin am Brett in
Bewegung ist, während die Messer fliegen, sind natürlich extrem
spannend, steigern sie das Risiko noch weiter. In Kassel ist das
französische Duo On Edge zu erleben. Tom Proneur ist der präzise
Werfer, Alluana Ribeiro die mutige Frau, die sich an das Brett
wagt. Dabei beweist sie nicht nur Nervenstärke, sondern zudem
akrobatisches Können. So lässt sie etwa die Messer an sich
vorbeifliegen, während sie einen Handstand macht. Ein Messer
hängt sie sogar mit der Hand auf. Wunderbar anzusehen ist auch
die Interaktion der beiden. Auf einem Trial Bike ist Jonathan
Heidel auf der Rundbühne unterwegs. Mit dem Motorrad springt er
auf ein Auto, über einen Menschen und wagt auf dem Hinterrad
Sprünge von einer kleinen Plattform zur nächsten. Drei
Artistinnen und ein Artist aus Taiwan bilden die Formation
Max-4, welche sich der Jonglage von Diabolos verschrieben hat.
Geschickt spielen sich die Mitglieder des Quartetts gegenseitig
die Doppelspulen zu. Im Mittelpunkt steht aber der männliche
Artist. Fünf Diabolos sind es, die er am Ende gleichzeitig auf
recht kleinem Raum in Bewegung hält. Absolut faszinierend! Exit
15 nimmt uns mit unter die Kuppel, welche nur von außenliegenden
Masten getragen wird. Der Fangstuhl des italienisch-spanischen
Duos kommt ohne Stützen zum Boden aus, was aus meiner Sicht die
Optik einer echten Luftnummer besser unterstützt. Zu ruhiger
Musik erleben wir starke Voltigen. Die ausgefeilten Tricks
werden von einem intensiven Spiel der beiden Akteure miteinander
begleitet. Die Dame im schwarzen Kleid ist als erste zurück am
Boden und löst eines der Bänder, mit denen das Requisit fixiert
ist. Ihr Partner hängt somit in der Luft, kommt aber natürlich
sicher wieder auf die Bühne. Die Pause wird von Hund und
Frauchen mit fahrbarer Kloschüssel und einer überdimensionalen
Popcornpackung aus Plüsch angekündigt.
Flying
Trapeze Troupe, Ameli Bilyk, Viviana Rossi
Neun Personen
umfasst die Flying Trapeze Troupe aus Argentinien. Auf zwei
Bahnen zeigen die Fliegerinnen und Flieger ihre Sprünge.
Höhepunkt ist die doppelte Passage. Der aus Zuschauern
bestehenden Jury sind die Leistungen dieser großen Formation am
Fliegenden Trapez den dritten Preis wert. Ganz oben auf dem
Treppchen aber steht am Ende Ameli Bilyk. Für ihre Darbietung
auf dem Schlappseil bekommt die junge Artistin die meisten
Punkte. Beim European Youth Circus 2018 machte sie erstmals auf
internationaler Bühne auf sich aufmerksam. Seitdem ist sie mit
ihren Balancen auf dem freihängenden Draht eine gefragte
Manegenkünstlerin. Als Schlusstrick zelebriert sie den Handstand
auf einem Arm, während sie am anderen Arm sowie an den Beinen
Reifen kreisen lässt. Sodann werden die Zuschauer ausgewählt,
die an der Abstimmung für das Festival teilnehmen dürfen. Dies
geschieht nach dem Zufallsprinzip durch den Hund. Dieser löst
mit der Pfote eine Ballmaschine aus. Wer eines der Wurfgeschosse
fängt, darf nach der Vorstellung im Vorzelt seine Wertung
abgeben. Mit Wasser veredelt Viviana Rossi ihre Kür an den
Strapaten um zusätzliche Effekte. Dazu taucht sie immer wieder
in eine Badewanne, die in rotem Nebel steht. Mit kraftvollen
Umschwüngen und wunderschönen Haltefiguren geht es für die
Artistin an den Bändern herauf und hinunter.
Messoudis,
Andre Blake, Frank Fabry
Bluejeans bilden
das Manegenoutfit der Messoudis bei ihrem Engagement in Kassel.
Damit macht das Trio optisch und artistisch eine blendende
Figur. Die Partnerakrobatik von Yassin, Karim und Soffien ist in
der Tat ein echter Hingucker. Das finden auch die Jurymitglieder
und belohnen die kraftvolle und variantenreiche Kür der
Equilbristik mit dem zweiten Platz. Mit seinen Großillusionen
beschließt Andre Blake das Programm. Der deutsche Vizemeister
der Zauberkunst weiß, wie man Frauen verschwinden und wieder
erscheinen lässt. Besonders spektakulär wird es, wenn sich der
Magier von einem riesigen Bohrer durchbohren lässt. Schließlich
wird die Apparatur von der Horizontalen in die Vertikale bewegt,
während Andre Blake im oberen Bereich festhängt.
Finale
Zu einem
eindrucksvollen Friedensappell gerät das Finale. Frank Fabry
singt das Udo Lindenberg-Lied „Komm wir ziehen in den Frieden“,
auf dem Artisteneingang sind „Stop War“ und das Peace-Zeichen zu
sehen. Die Artisten kommen herein und machen schließlich einen
Kniefall. Danach verabschieden sich alle Mitwirkenden, inklusive
der Bühnencrew, vom Publikum.
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