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Festival der Artisten Kassel 2023/24
www.flicflac.de ; 126 Showfotos

Kassel, 5. Januar 2024: Gleich sechs Produktionen unter dem Namen Flic Flac gibt es in diesem Winter. Dies mit unterschiedlichen Veranstaltern und Erfurt als neuestem Standort. Das Festival der Artisten in Kassel gehört da zu den etablierten Shows, findet es doch seit 2009 und in dieser Spielzeit zum 14. Mal statt. So steht wieder ein gelb-schwarzes Chapiteau auf dem Friedrichsplatz mitten in der Innenstadt. Dieses Ensemble gehört inzwischen zum typischen Anblick im Zentrum der nordhessischen Stadt rund um Weihnachten und Silvester. Genauso wie das Bild vollbesetzter Ränge. Wer gute Tickets haben möchte, muss frühzeitig buchen. Die Vorstellung an diesem Nachmittag ist ausverkauft. Die Begeisterung des Publikums kennt keine Grenzen.

Für mich ist es der erste Flic Flac-Besuch seit Februar 2020, als das Unternehmen kurz vor der Pandemie-bedingten Zwangspause in Frankfurt am Main spielte.


Flic Flac auf dem Friedrichsplatz in Kassel

Beim Wiedersehen in Kassel wird mir klar, was ich seitdem entbehren musste. Starke Darbietungen, die für sich stehen, ein ungemein flotter Ablauf, eindrucksvolle Bilder bei Opening und Finale, ein imposanter Artisteneingang mit einzigartigen visuellen Effekten, eine exzellente Soundanlage und ein – Entschuldigung – geiles Lichtdesign. Und das, obwohl die Sparte Comedy in dieser Show nicht besetzt ist oder, wenn man es wohlwollend betrachtet, sich auf zwei kurze Einlagen beschränkt.


Pausenankündigung mit Hund

Eine davon sind die Sicherheitshinweise. Eine blonde Frau informiert auf originelle Weise mit überdimensionaler Zigarette und Fotoapparat, was verboten und was erwünscht ist. Begleitet wird sie dabei von einem Hund. Keiner zuckt mit der Wimper. 2017/18 gab es noch einen Aufschrei bestimmter Gruppierungen, als an gleicher Stelle Rosi Hochegger mit Hunden und Pferd auftreten sollte. Die Nummern wurden letztendlich nicht gezeigt. „An/Aus“ ist das Motto des Openings. Die Artisten, welche hier auch namentlich vorgestellt werden, tragen Mäntel mit jeweils einem der beiden Worte auf dem Rücken. Dazu singt Frank Fabry das Lied „Licht“. Der charismatische Sänger mit der rauchigen Stimme begleitet uns durch die Show. Immer wieder interpretiert er einen seiner Songs. Die Ansagen kommen hingegen aus dem Off.


Soffien und Karim Messoudi, George Gummi, Denys Zhygaltsov

Den artistischen Auftakt machen Soffien und Karim Messoudi. Bei ihren Passings mit drei Keulen tauschen sie, quasi nebenbei, die Kleidung. Die Anzüge der beiden sind in gelb beziehungsweise schwarz gehalten. Als netten Nebeneffekt dieser mit einem Augenzwinkern präsentierten Jonglage zeigen die beiden ihre bestens trainierten Körper. Bei George Gummi ist der Künstlername Programm. Weder ist er reiner Klischnigger noch Kontorsionist. Er verbiegt sich einfach in alle möglichen und unmöglichen Richtungen. Gleich zu Beginn lässt er sich von vier Helfern in der Vertikalen verdrehen. Zwei halten ihn an den Beinen fest und zwei an den Armen. Da schmerzt das Zuschauen, wohingegen George sichtlich mit Spaß bei der Sache hat. Denys Zhygaltsov gibt den formvollendeten Gentleman. In schwarzer Hose und Weste sowie mit blütenweißem Hemd arbeitet er am Flying Pole. Perfekte Körperbeherrschung und ein guter Schuss Nervenstärke sind notwendig, um diese Darbietung zu zeigen. Denys Zhygaltsov bringt zudem noch Kreativität und eine sehr sympathische Ausstrahlung mit.


Duo On Edge, Max-4, Exit 15

Messerwerfer-Darbietungen, bei denen die Partnerin am Brett in Bewegung ist, während die Messer fliegen, sind natürlich extrem spannend, steigern sie das Risiko noch weiter. In Kassel ist das französische Duo On Edge zu erleben. Tom Proneur ist der präzise Werfer, Alluana Ribeiro die mutige Frau, die sich an das Brett wagt. Dabei beweist sie nicht nur Nervenstärke, sondern zudem akrobatisches Können. So lässt sie etwa die Messer an sich vorbeifliegen, während sie einen Handstand macht. Ein Messer hängt sie sogar mit der Hand auf. Wunderbar anzusehen ist auch die Interaktion der beiden. Auf einem Trial Bike ist Jonathan Heidel auf der Rundbühne unterwegs. Mit dem Motorrad springt er auf ein Auto, über einen Menschen und wagt auf dem Hinterrad Sprünge von einer kleinen Plattform zur nächsten. Drei Artistinnen und ein Artist aus Taiwan bilden die Formation Max-4, welche sich der Jonglage von Diabolos verschrieben hat. Geschickt spielen sich die Mitglieder des Quartetts gegenseitig die Doppelspulen zu. Im Mittelpunkt steht aber der männliche Artist. Fünf Diabolos sind es, die er am Ende gleichzeitig auf recht kleinem Raum in Bewegung hält. Absolut faszinierend! Exit 15 nimmt uns mit unter die Kuppel, welche nur von außenliegenden Masten getragen wird. Der Fangstuhl des italienisch-spanischen Duos kommt ohne Stützen zum Boden aus, was aus meiner Sicht die Optik einer echten Luftnummer besser unterstützt. Zu ruhiger Musik erleben wir starke Voltigen. Die ausgefeilten Tricks werden von einem intensiven Spiel der beiden Akteure miteinander begleitet. Die Dame im schwarzen Kleid ist als erste zurück am Boden und löst eines der Bänder, mit denen das Requisit fixiert ist. Ihr Partner hängt somit in der Luft, kommt aber natürlich sicher wieder auf die Bühne. Die Pause wird von Hund und Frauchen mit fahrbarer Kloschüssel und einer überdimensionalen Popcornpackung aus Plüsch angekündigt.


Flying Trapeze Troupe, Ameli Bilyk, Viviana Rossi

Neun Personen umfasst die Flying Trapeze Troupe aus Argentinien. Auf zwei Bahnen zeigen die Fliegerinnen und Flieger ihre Sprünge. Höhepunkt ist die doppelte Passage. Der aus Zuschauern bestehenden Jury sind die Leistungen dieser großen Formation am Fliegenden Trapez den dritten Preis wert. Ganz oben auf dem Treppchen aber steht am Ende Ameli Bilyk. Für ihre Darbietung auf dem Schlappseil bekommt die junge Artistin die meisten Punkte. Beim European Youth Circus 2018 machte sie erstmals auf internationaler Bühne auf sich aufmerksam. Seitdem ist sie mit ihren Balancen auf dem freihängenden Draht eine gefragte Manegenkünstlerin. Als Schlusstrick zelebriert sie den Handstand auf einem Arm, während sie am anderen Arm sowie an den Beinen Reifen kreisen lässt. Sodann werden die Zuschauer ausgewählt, die an der Abstimmung für das Festival teilnehmen dürfen. Dies geschieht nach dem Zufallsprinzip durch den Hund. Dieser löst mit der Pfote eine Ballmaschine aus. Wer eines der Wurfgeschosse fängt, darf nach der Vorstellung im Vorzelt seine Wertung abgeben. Mit Wasser veredelt Viviana Rossi ihre Kür an den Strapaten um zusätzliche Effekte. Dazu taucht sie immer wieder in eine Badewanne, die in rotem Nebel steht. Mit kraftvollen Umschwüngen und wunderschönen Haltefiguren geht es für die Artistin an den Bändern herauf und hinunter.


Messoudis, Andre Blake, Frank Fabry

Bluejeans bilden das Manegenoutfit der Messoudis bei ihrem Engagement in Kassel. Damit macht das Trio optisch und artistisch eine blendende Figur. Die Partnerakrobatik von Yassin, Karim und Soffien ist in der Tat ein echter Hingucker. Das finden auch die Jurymitglieder und belohnen die kraftvolle und variantenreiche Kür der Equilbristik mit dem zweiten Platz. Mit seinen Großillusionen beschließt Andre Blake das Programm. Der deutsche Vizemeister der Zauberkunst weiß, wie man Frauen verschwinden und wieder erscheinen lässt. Besonders spektakulär wird es, wenn sich der Magier von einem riesigen Bohrer durchbohren lässt. Schließlich wird die Apparatur von der Horizontalen in die Vertikale bewegt, während Andre Blake im oberen Bereich festhängt.


Finale

Zu einem eindrucksvollen Friedensappell gerät das Finale. Frank Fabry singt das Udo Lindenberg-Lied „Komm wir ziehen in den Frieden“, auf dem Artisteneingang sind „Stop War“ und das Peace-Zeichen zu sehen. Die Artisten kommen herein und machen schließlich einen Kniefall. Danach verabschieden sich alle Mitwirkenden, inklusive der Bühnencrew, vom Publikum.

Was für ein Abschluss, was für eine Show! Dieses 14. Festival der Artisten überzeugt, ja begeistert auf ganzer Linie. Flic Flac ist einfach einzigartig und ein echtes Erlebnis, das einen komplett für sich gefangen nimmt. Fast vier lange Jahre musste ich darauf verzichten. Und so bleibt der Wunsch, nicht bis Weihnachten warten zu müssen, um wieder eine dieser genialen Shows erleben zu dürfen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch