CHPITEAU.DE

Karlsruhe, 26. Dezember 2023: Show must go on! Nichts anderes bleibt der Direktion des Karlsruher Weihnachtscircus am Abend unseres Besuchs übrig. Vor dem Gastspiel hatten Joachim und Rosemarie Sperlich alles dafür getan, dass wieder das bewährte Orchester aus der Ukraine anreisen konnte. Nun muss ein Musiker auf einer der wichtigsten Positionen krankheitsbedingt pausieren; im zweiten Teil des Programms wird daher in weiten Teilen zu Musik vom Band gewechselt. Zu allem Überfluss kann auch die Truppe Amaraa infolge einer Verletzung nicht mit ihrer großartigen Schleuderbrettnummer arbeiten.

Das ist eben live und kein Film – mit allen Risiken, die sich daraus ergeben. Das Chapiteau ist nahezu voll besetzt, und so wird selbstverständlich gespielt, den Widrigkeiten zum Trotz. Bei fast allen der 13 bisherigen Auflagen des Karlsruher Weihnachtscircus wurde auf ein großes Charivari im amerikanischen Stil gesetzt, einschließlich in der Manege kreisender Eisenbahn.


Jitka Keltie, Kimberly Lester, Karen McDawn

In diesem Winter hat sich die Familie Sperlich wieder für eine ruhigere Variante entschieden, ähnlich wie schon 2016/17. So legt sich Clown Gino Silvano (Gino Kaselowsky, Ehemann von Juniorchefin Monika Sperlich) zum Schlafen, das Ballett in Engelskostümen umtanzt ihn, und dazu wird „Stille Nacht“ angestimmt. Zusätzlich zum Orchester unter der Leitung von Misha Khoklov ist Violinistin Jitka Keltie im Einsatz. Kimberly Lester lässt in ihrer Zweitnummer als Sandmalerin vergleichsweise wenige und eher unaufwendige Motive erscheinen. Was sie auf einer beleuchteten Scheibe kreiert, wird auf einer Leinwand über dem Artisteneingang gezeigt. Zu „Jingle Bells“, wunderbar gesungen von Karen McDawn, wird es beim erneuten Einsatz des Balletts doch noch etwas turbulenter.


Rudolf Janecek, Alexandro Jostmann, Gino Silvano

Und das Tempo steigert sich in einen Rausch, wenn Rudolf Janecek bei seinen klassischen Tempojonglage mit bis zu sieben Keulen jongliert - bei drei Keulen steht "High Speed" im Vordergrund, so dass das Auge kaum zu folgen vermag. Bei mehr Requisiten sind es die unterschiedlichen Wurfmuster. Ebenso rasant leiten Alexandro Jostmann und Ehefrau Romy ihre drei schwarzen und zwei weißen Pudel zu Sprüngen in allen Variationen an. Der erfahrene Tierlehrer gehörte früher beispielsweise zu den Stützen des Circo Moira Orfei und ist nun für den Ungarischen Nationalcircus Richter tätig. Nachdem kein „externer“ Clown engagiert wurde, beschränkt sich Gino Salvino auf wenige Auftritte. Bei seiner Variante von André Brogers Duett-Entree gewinnt er der Szene eine neue Seite: Statt einen Wischmopp als Frisur für den von ihm selbst gespielten weiblichen Part einzusetzen, stibitzt er einer Balletttänzerin die Perücke.


Duo Romance, Mister Jumping, Kimberly Lester

Nachdem wir das Duo Romance, Adelina Maria Boldojar und ihren Mann Alex Bogdi, vor fast zehn Jahren erstmals bei Roncallis „Salto Vitale“ kennenlernen durften, hat das äußerst sympathische Paar aus Rumänien in großartiger Weise Circus-Karriere gemacht. Nun sorgen sie mit ihrer Nummer am Pole auch im Karlsruher Weihnachtscircus für Riesen-Applaus. Die Mischung aus starken Posen und unerwarteten Abfallern, romantischer Stimmung und doch augenzwinkernd-komischer Note ist ein garantierter Publikumsfavorit in jedem Haus. Und heiter geht es weiter bei Mister Jumping, der den Sprungturm erklimmt, um von dort in den „Pool“ – genauer gesagt ein Trampolin – „einzutauchen“. Das alles wird genretypisch mit vielen Gags serviert. Um sich die rechte Motivation für den Haupttrick zu verschaffen, einen Doppelsalto, nimmt er scheinbar einen kräftigen Schluck aus der Schnapsflasche. Anschließend schafft das Ballett in seinen Kostümen mit goldenen Umhängen orientalische Stimmung. Die geheimnisvoll-schöne Kimberly Lester verbirgt ihr Gesicht zunächst hinter einem Kopftuch, das sie bald ablegt. Bei ihren starken Antipodenspielen lässt sie erst bis zu vier Teppiche, dann bis zu fünf große Bälle über ihre Füße tanzen. Am Ende gelingt es ihr, einen Ball über vier Plattformen an einer Stange emporhüpfen zu lassen, die an ihren Füßen befestigt ist, und versenkt ihn in einem Korb am oberen Ende.


Truppe Amaraa

Die „Riverdance“-Musik ist irisch, die Artisten kommen aus der Mongolei: Vor der Pause erleben wir die große Truppe Amaraa mit ihrem vielseitigen Seilspringen. Mal springen die Akteure über ein Seil, während sie ein anderes drehen. Mal stapeln sich drei in Liegestütz-Position übereinander und überqueren so das drehende Seil, mal geschieht dies im Drei-Personen-Hoch. Moderator Giovanni Biasini, Sängerin Karen McDawn und Gino Silvano leiten mit einem kleinen Dialog zu den angebotenen Snacks zur Unterbrechung über.


René Sperlich, Giampalo Maltese, Fatima Hórvath

Nicht zum ersten Mal zeigt Direktionssohn René Sperlich seine Stuhlpyramide im Karlsruher Weihnachtscircus, doch noch nie wurde die Nummer in eine so aufwendige Verpackung gekleidet. Und so werden wir zum Beginn des zweiten Programmteils in die Barockzeit entführt. Bei Hofe ist ein festliches Dinner geplant. Rund um die gedeckte Tafel gesellen sich Damen in weiten Kleidern und Herren mit weißen Perücken sowie in farbigen Fräcken mit Rüschen. Zunächst soll der Kronleuchter entzündet werden, doch plötzlich entschwebt dieser in große Höhe. Also stapelt René Sperlich Stück für Stück die bereitstehenden Stühle auf dem Tisch übereinander, erklimmt den fragilen Turm und gelangt so zu dem Leuchtobjekt – dies natürlich in Kombination mit verschiedenen Handständen. Nachdem Bauchredner Giampalo Maltese bisher vorwiegend in seiner italienischen Heimat gearbeitet hat, ist das Engagement in einem der großen Weihnachtscircusse in Deutschland sicher Ehre und Herausforderung zugleich. Ähnlich wie bekanntere Vertreter des Fachs begibt er sich zunächst in einen mehrsprachigen Dialog mit einem Handpuppen-Vogel und leiht dann seine Stimme einer Dame und zwei Herren aus dem Publikum. Das Ballett in Katzen-Kostümen und Melodien aus dem Musical-Klassiker „Cats“ leiten stimmig über zur Dressurnummer von Fatima Horváth mit ihren Stubentigern. Die Tiere balancieren über eine schmale Stange oder hangeln sich daran entlang, umkreisen den Kopf der Tierlehrerin auf deren Schultern oder glänzen bei weiten Sprüngen von Podest zu Podest. Aus großer Höhe springt schließlich eine Katze in Fatima Horváths Arme. Bei ihrem Auftritt wird sie von ihrem Partner unterstützt.


Duo Romance, Finale

Nach Gino Salvinos kurzer Popcorn-Reprise sorgt das Duo Romance für ganz große Gefühle an den Strapaten. Ihr Tango der Lüfte kombiniert Solo- und Duotricks, Gefährliches und Gefühlvolles, Träumerei und Spannung. Ein Höhepunkt im Wortsinn, der an diesem Abend auch die Schlussnummer ist. Zu gerne würden wir nun noch die Truppe Amaraa am Schleuderbrett erleben, mit Sprüngen bis zum Sechs-Personen-Hoch und auf eine gewaltige Konstruktion. Sie setzt sich zusammen aus auf Schultern querliegenden Stangen, dem darauf stehenden Träger einer Perchestange und an deren Ende einem weiteren Artisten, der eine Stange mit Sessel obendrauf hält. Doch verletzungsbedingt bleibt uns die Erfüllung dieses Wunsches wie erwähnt verwehrt.

Mit der Schleuderbrett-Nummer zum Abschluss und voll einsatzfähigem Orchester hätte uns das Programm sicher noch weitaus mehr in seinen Bann ziehen können. Nochmal alle Register gezogen werden dann im Finale – vor den leuchtenden Showtreppen entsteht ein großes Bild mit dem Ballett in Kostümen wie im Karneval von Rio, der hervorragend singenden Karen McDawn und Jitka Keltie an der Geige. Seit der Gründung des Karlsruher Weihnachtscircus haben wir noch keine Ausgabe verpasst, und so sind wir gespannt, womit uns die Familie Sperlich beim Jubiläumsprogramm zur 15. Ausgabe in einem Jahr überraschen wird.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll