Und eine Reise der
Emotionen. Es darf gestaunt und gelacht, geträumt und bei spektakulären
Tricks mitgefiebert werden. Zusammengestellt haben das Programm einmal
mehr Andreas Mattlé und Anne Naumann. Im Hauptberuf sind sie für die
Öffentlichkeitsarbeit der OVAG verantwortlich. Da sich die Oberhessische
Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH das Varieté als ganz besondere
Kundenbindungsmaßnahme gönnt, gehört dessen künstlerische Leitung
ebenfalls in ihren Verantwortungsbereich. Glücklich, wer diese Aufgabe
in seiner Stellenbeschreibung hat.
Revolution
Queens
Mit der Auswahl
und Buchung der Acts ist die Arbeit natürlich nicht getan. Auch die
Organisation vor Ort ist wichtig für den Erfolg. Licht und Ton werten
die Show wieder ganz wunderbar auf, all die unsichtbaren Helfer hinter
der Bühne sorgen dafür, dass das Publikum ein optimales Erlebnis hat.
Die Mitarbeiter im Foyer und Saal sind gefragt, wenn es darum geht, die
Garderobe abzugeben, sich in der Pause zu erfrischen oder den gebuchten
Platz zu finden. Noch anspruchsvoller ist es freilich, einen solchen
erstmal zu ergattern. Denn die Vorstellungen sind in der Regel schnell
ausverkauft. Über 35.000 Zuschauer wurden in der Spielzeit 2024 gezählt.
Nicht zuletzt dank Zusatzshows.
Duo Lugo,
Simone Stiers, Yulia Rasshivkina
Setzen wir jetzt
aber unsere Reise fort, fangen wir vielmehr am Startpunkt an. Los geht
es mit dem Duo Lugo. Ihre groß angelegte Lasershow füllt den Raum der
Bühne spielend aus. Luis Lugo und Anke de Boer zaubern voluminöse
Kunstwerke aus Licht und nutzen wiederum einzelne Strahlen, um sich zu
duellieren. Ein weiterer Hingucker sind ihre mit LEDs besetzten Kostüme.
Dann wird unsere Begleiterin durch den Abend - oder wenn man so will,
die Reiseleiterin – hereingefahren. Auf einer runden Plattform gleitet
Simone Stiers Richtung Zuschauerraum. Dabei gibt sie eine erste
Kostprobe ihrer Sangeskünste Und die macht definitiv Lust auf mehr. Sie
hat eine grandiose Stimme und eine tolle Präsenz. Ich hätte an diesem
Abend gerne noch ein Lied mehr von ihr gehört. Zudem hat sie sich
gewissenhaft auf ihre Künstlerkollegen vorbereitet und kündigt diese
äußerst engagiert an. So wie Yulia Rasshivkina, in deren neu
inszenierter Hula Hoop-Darbietung die Musik ebenfalls eine wichtige
Rolle spielt. Denn diese arbeitet sie zu Songs von Tina Turner. Äußerst
mitreißend lässt sie die Reifen virtuos um ihre Arme, Beine sowie Hüfte
kreisen und flirtet dabei stets mit dem Publikum. Am Ende sind es
unzählige Ringe, die sie mit ihrem Körper in Bewegung hält.
Cedeno
Brothers, Jay Niemi, Zdenek Polach
Bei ihrem letzten
Engagement im Dolce-Theater waren die Cedenos noch zu viert. 2024
erleben wir die Brüder aus Ecuador im Trio. Wieder mitgebracht haben sie
das Temperament ihrer Heimat und natürlich rasante Sprünge, zu denen sie
sich gegenseitig mit den Füßen in die Luft katapultieren. Ihre
Ikarischen Spiele servieren sie mit einem guten Schuss Humor und haben
quasi en passant noch Zeit für atemberaubende Salti. Geheimnisvoll wird
es, wenn Jay Niemi im eleganten Frack die Bühne betritt. Der Magier aus
Finnland lässt uns staunend und ratlos zurück. Auch aus vergleichsweise
geringer Entfernung betrachtet, hat man keinerlei Idee, wie er Tauben
und sogar Papageien scheinbar aus dem Nichts erscheinen lässt. Seine
Mimik und Gestik unterstützen den Eindruck, dass hier gerade etwas
passiert, was eigentlich nicht sein kann. Dabei kommt Jay Niemi trotzdem
sympathisch rüber. In einem ersten, noch recht kurzen Auftritt stellt
sich das Duo Jeko vor. Hinter diesem Künstlernamen verbergen sich
Yevheniy Lehkyy Lisi und Mykola Horbatiuk. Ihr Metier ist de Comedy. Bei
ihren Zaubereien spielen weiße Kugeln und ein besonders hoher Zylinder
eine wichtige Rolle. Der zugehörige Trommelwirbel wird kurzerhand an
einen Herrn in der ersten Reihe abgegeben. Nachdem es mit den Drumsticks
nicht wie gewünscht läuft, erhält der Gast kurzerhand einen
Akkuschrauber mit aufgesetztem Quirl als Hilfsmittel. Auf große Bälle
als Requisit hat sich Zdenek Polach spezialisiert. Mit ihnen lässt der
Jongleur einen wahren Wirbel entstehen. Er schickt sie auf immer neue
Touren. Am Ende hält er sieben davon gleichzeitig in der Luft.
Trinh Tra My,
Jonathan Rossi, Eonys Goncalves
Nach dieser
rasanten Nummer, wird es poetisch, aber artistisch nicht minder
anspruchsvoll. Trinh Tra My lebt aktuell im kanadischen Montreal, stammt
aber ursprünglich aus Vietnam. Dort, in Hanoi, hat sie die Kunst der
Schwert-auf-Messer-Balance erlernt. Zunächst hält sie einen Turm aus
Gläsern mit mehreren Etagen auf einem Messer im Gleichgewicht, welches
sie mit dem Mund fixiert. Hauptteil ihrer Darbietung aber ist die
Balance eines Schwerts, das – Spitze auf Spitze – auf dem Messer ruht.
Am oberen Ende des Schwerts befindet sich eine Plattform mit drei
Gläsern darauf. In dieser Konstellation geht es an die Tücher, wo Trinh
Tra My kunstvolle Posen in Ruhe und im Schwung präsentiert. Jonathan
Rossi kommt nicht nur mit dem Rad zur Arbeit, sondern bestreitet gleich
seinen ganzen Beruf damit. Der blendend aussehende Italiener ist
Fahrradartist und darf sich auf dem auf der Bühne aufgebauten
„Spielplatz“ austoben. Die hohen Podeste stellen für ihn kein Hindernis
da, er nimmt sie locker. Faszinierend sind die Sprünge zwischen äußerst
schmalen Plattformen, die er auf dem Hinterrad ausführt. Mut beweist
eine Dame aus der ersten Reihe, die sich auf den Boden legt, damit
Jonathan Rossi mit seinem Fahrrad über sie hinwegspringen kann. Der Pole
für die Akrobatik von Eonys Goncalves ist auf eine Badewanne montiert.
So kann sie nach ihrer sinnlichen Kür am Mast kühlendes Wasser aus dem
Duschkopf genießen. Zusätzlich dient die Wanne als Podest für starke
Handstandvariationen.
Paolo Folco,
Duo Laos, Duo Jeko
Für die
diesjährige Tierdressur war ursprünglich Diana Vediashkina vorgesehen.
Wie schon beim Heilbronner Weihnachtscircus, konnte sie das vorgesehene
Engagement nicht antreten. So erleben wir Pudel statt Dackel. Die weißen
und schwarzen Hunde hören auf das Kommando von Paolo Folco. Es geht
ungeheuer lebhaft zu, wenn die Vierbeiner ihr Erlerntes vorführen
dürfen. So etwa Sprünge auf vier und zwei Beinen oder eine Polonaise zum
Abschied. Nachdem sich ein Mitglied des Duo Jeko als Kunstschütze
versucht hat, bekommt Simone Stiers einen Song lang die gesamte
Aufmerksamkeit der Gäste. Ganz hinreißend interpretiert sie „Ich gehör
nur mir“ – zunächst hinter einem transparenten Vorhang, dann auf dem
vorderen Teil der Bühne. Immer wieder ein Genuss ist es, der
einzigartigen Hand-auf-Hand-Akrobatik des Duo Laos zuzusehen. Der starke
Pablo und die dagegen zierlich wirkende Mercedes liefern sich ein
intensives Liebesspiel. Doch die physische Konstitution determiniert
beileibe nicht das Kräfteverhältnis bei der Interaktion miteinander. Da
weiß sich Mercedes sehr wohl zu behaupten, steht in einer Sequenz sogar
auf dem auf dem Boden liegenden Oberkörper von Pablo. Dazu erleben wir
viele anspruchsvolle Tricks, die alles andere als Standard sind. Damit
setzt das Duo Laos ein Ausrufezeichen hinter den ersten Programmteil.
Das Publikum feiert die Artisten entsprechend. Allerdings gibt es vor
der Pause noch einen komischen Boxkampf, den sich das Duo Jeko mit einem
Herrn aus dem Publikum liefert. Hier beweisen die Komiker einmal mehr
mit neuen Ideen und eigenständigen Interpretationen bekannter Gags ihre
Kreativität. Es wird wirklich ein großer Spaß. Allerdings könnten
Requisiten und Auftreten etwas feiner sein, insbesondere in diesem
Rahmen. Der Effekt einer starken Nummer vor der Pause wird so nicht
erzielt.
Crazy Flight,
Aleksandra Kiedrowicz, Vladimir Omelchenko
Auf eine Reise
durch das menschliche Leben nimmt uns Polina Sayfudinova mit. Die
einzelnen Stationen vom Baby bis zum Greis malt sie dabei mit Sand. Ihre
Kunstwerke entstehen also immer nur für Augenblicke. Dank der Projektion
auf eine Leinwand können wir diese im Großformat verfolgen. Nach den
kleinen, filigranen Zaubereien im ersten Part sehen wir Jay Niemi jetzt
mit Großillusionen. Dabei wird er von Partnerin Jade Devine und einer
weiteren Dame unterstützt. Da werden in Bruchteilen von Sekunden Plätze
getauscht, da verschwinden Menschen und tauchen dort wieder auf, wo man
es nicht vermutet hat. Das ganze in flotter, jetzt deutlich
extrovertierterer Präsentation. Die vier Artisten von Crazy Flight
stehen für Menschenpyramiden und Handvoltigen. Genauso stehen sie für
ihre ganz besondere Form der Aufmachung, in der sie das „Crazy“ in ihrem
Namen herausstellen. Es ist schon ziemlich verrückt, wie das Quartett
seine Nummer spielt. Dann geht es nach Bella Italia, denn das Duo Jeko
hat seinen mobilen Pizzastand mit nach Bad Nauheim gebracht. In den
passenden Outfits jonglieren sie mit Pizzen. Natürlich haben die beiden
Clowns auch hier jede Menge herrliche Gags eingebaut, die sie mit viel
Spielfreude servieren. Deutlich ruhiger geht es bei der Akrobatik am
Luftring von Aleksandra Kiedrowicz zu. Dank ihres äußerst biegsamen
Körpers zelebriert sie wunderschöne Figuren, die für einen selbst
unerreichbar scheinen. Außerdem kennt sie offenbar keine Höhenangst.
Einen stark ausgeprägten Gleichgewichtssinn wiederum hat Vladimir
Omelchenko. Anders wäre es wohl nicht möglich, so sicher auf Türmen von
übereinander gelegten Walzen zu balancieren. Aber auch auf einem Ball
oder auf über mehrere Etagen gestapelten Bänken bewegt sich der Rola
Rola-Artist mit der markanten blonden Frisur ohne Probleme. Zwei seiner
Tricks ergänzt er um Jonglagen.
Deadly Games,
Duo Vitalys, Revolution Queens
Im goldenen Outfit
singt Simone Stiers die Bond-Titelmelodie „Goldeneye“. Den Agent ihrer
Majestät erleben wir danach nicht, doch das Duo Deadly Games sorgt für
ein ähnliches Maß an Spannung. Alfredo Silva fasziniert dabei als
Messerwerfer und Armbrustschütze. Aleksandra Kiedrowicz beweist nach
ihrer Luftnummer noch einmal eine Menge Mut. Denn wenige Zentimeter
neben ihr finden Messer und Pfeile ihr Ziel. Am Messerbrett erhöht sie
den Nervenkitzel, da sie meist nicht an einer Stelle verharrt, sondern
sich schnell bewegt. Als Trefferfläche für die Messer dient zudem ein
rotierender Türrahmen, in dessen Mitte Aleksandra Kiedrowicz steht. Beim
Armbrustschuss über die Schulter dient Alfredo Silva ein Smartphone im
Selfiemodus als Orientierungshilfe. Sicher durchbohrt der abgeschossene
Pfeil einen von der Partnerin mit dem Mund gehaltenen Luftballon.
Hand-auf-Hand, Hand-auf-Kopf, Kopf-auf-Fuß und Kopf-auf-Kopf – damit
sind alle Elemente der Partnerakrobatik des Duo Vitalys beschrieben.
Allerdings nur sehr unzureichend. Denn Pablo Nonato und Joel Yaicate
liefern eine perfekte Show. Die beiden Athleten aus Peru wissen, wie man
das Publikum mitnimmt. Insbesondere wenn es im Kopf-auf-Kopf eine Treppe
herunter und wieder hinauf geht. Ein paar Runden auf der Bühne
inklusive. Und dann ist es Zeit für die eingangs erwähnten Revolution
Queens. Mit ihrer mitreißenden Performance treiben sie die Stimmung auf
die Spitze. Dabei ist anzumerken, dass das Publikum den ganzen Abend
über sehr gut mitgeht. Und der hat immerhin die gewohnte Länge von
dreieinhalb Stunden. Die letzten Minuten gehören dem ausgiebig
zelebrierten Finale, bei dem van Halens „Jump“ nicht fehlen darf. Die
Gäste im Saal feiern die Akteure mit Standing Ovations. |