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Internationales OVAG Varieté 2024
www.ovag-gruppe.de - 200 Showfotos

Bad Nauheim, 20. Januar 2024: Es ist schon nach 23 Uhr, da stürmen neun Frauen auf die Bühne und zelebrieren das Temperament ihrer südamerikanischen Heimat. Mit Trommeln und Bolaspielen reißen die Revolution Queens noch einmal das gesamte Publikum im ausverkauften Dolce-Theater mit, steigt die Stimmung nochmal deutlich hörbar an. Diese Darbietung bildet die Schlussnummer der 20. Auflage des Internationalen OVAG-Varietés. Bis dahin haben die Gäste im Jugendstil-Saal schon eine lange Reise erlebt. Eine Reise durch 19 Länder, aus denen die Künstler der Produktion 2024 stammen.

Und eine Reise der Emotionen. Es darf gestaunt und gelacht, geträumt und bei spektakulären Tricks mitgefiebert werden. Zusammengestellt haben das Programm einmal mehr Andreas Mattlé und Anne Naumann. Im Hauptberuf sind sie für die Öffentlichkeitsarbeit der OVAG verantwortlich. Da sich die Oberhessische Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH das Varieté als ganz besondere Kundenbindungsmaßnahme gönnt, gehört dessen künstlerische Leitung ebenfalls in ihren Verantwortungsbereich. Glücklich, wer diese Aufgabe in seiner Stellenbeschreibung hat.


Revolution Queens

Mit der Auswahl und Buchung der Acts ist die Arbeit natürlich nicht getan. Auch die Organisation vor Ort ist wichtig für den Erfolg. Licht und Ton werten die Show wieder ganz wunderbar auf, all die unsichtbaren Helfer hinter der Bühne sorgen dafür, dass das Publikum ein optimales Erlebnis hat. Die Mitarbeiter im Foyer und Saal sind gefragt, wenn es darum geht, die Garderobe abzugeben, sich in der Pause zu erfrischen oder den gebuchten Platz zu finden. Noch anspruchsvoller ist es freilich, einen solchen erstmal zu ergattern. Denn die Vorstellungen sind in der Regel schnell ausverkauft. Über 35.000 Zuschauer wurden in der Spielzeit 2024 gezählt. Nicht zuletzt dank Zusatzshows.


Duo Lugo, Simone Stiers, Yulia Rasshivkina

Setzen wir jetzt aber unsere Reise fort, fangen wir vielmehr am Startpunkt an. Los geht es mit dem Duo Lugo. Ihre groß angelegte Lasershow füllt den Raum der Bühne spielend aus. Luis Lugo und Anke de Boer zaubern voluminöse Kunstwerke aus Licht und nutzen wiederum einzelne Strahlen, um sich zu duellieren. Ein weiterer Hingucker sind ihre mit LEDs besetzten Kostüme. Dann wird unsere Begleiterin durch den Abend - oder wenn man so will, die Reiseleiterin – hereingefahren. Auf einer runden Plattform gleitet Simone Stiers Richtung Zuschauerraum. Dabei gibt sie eine erste Kostprobe ihrer Sangeskünste Und die macht definitiv Lust auf mehr. Sie hat eine grandiose Stimme und eine tolle Präsenz. Ich hätte an diesem Abend gerne noch ein Lied mehr von ihr gehört. Zudem hat sie sich gewissenhaft auf ihre Künstlerkollegen vorbereitet und kündigt diese äußerst engagiert an. So wie Yulia Rasshivkina, in deren neu inszenierter Hula Hoop-Darbietung die Musik ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Denn diese arbeitet sie zu Songs von Tina Turner. Äußerst mitreißend lässt sie die Reifen virtuos um ihre Arme, Beine sowie Hüfte kreisen und flirtet dabei stets mit dem Publikum. Am Ende sind es unzählige Ringe, die sie mit ihrem Körper in Bewegung hält.


Cedeno Brothers, Jay Niemi, Zdenek Polach

Bei ihrem letzten Engagement im Dolce-Theater waren die Cedenos noch zu viert. 2024 erleben wir die Brüder aus Ecuador im Trio. Wieder mitgebracht haben sie das Temperament ihrer Heimat und natürlich rasante Sprünge, zu denen sie sich gegenseitig mit den Füßen in die Luft katapultieren. Ihre Ikarischen Spiele servieren sie mit einem guten Schuss Humor und haben quasi en passant noch Zeit für atemberaubende Salti. Geheimnisvoll wird es, wenn Jay Niemi im eleganten Frack die Bühne betritt. Der Magier aus Finnland lässt uns staunend und ratlos zurück. Auch aus vergleichsweise geringer Entfernung betrachtet, hat man keinerlei Idee, wie er Tauben und sogar Papageien scheinbar aus dem Nichts erscheinen lässt. Seine Mimik und Gestik unterstützen den Eindruck, dass hier gerade etwas passiert, was eigentlich nicht sein kann. Dabei kommt Jay Niemi trotzdem sympathisch rüber. In einem ersten, noch recht kurzen Auftritt stellt sich das Duo Jeko vor. Hinter diesem Künstlernamen verbergen sich Yevheniy Lehkyy Lisi und Mykola Horbatiuk. Ihr Metier ist de Comedy. Bei ihren Zaubereien spielen weiße Kugeln und ein besonders hoher Zylinder eine wichtige Rolle. Der zugehörige Trommelwirbel wird kurzerhand an einen Herrn in der ersten Reihe abgegeben. Nachdem es mit den Drumsticks nicht wie gewünscht läuft, erhält der Gast kurzerhand einen Akkuschrauber mit aufgesetztem Quirl als Hilfsmittel. Auf große Bälle als Requisit hat sich Zdenek Polach spezialisiert. Mit ihnen lässt der Jongleur einen wahren Wirbel entstehen. Er schickt sie auf immer neue Touren. Am Ende hält er sieben davon gleichzeitig in der Luft.


Trinh Tra My, Jonathan Rossi, Eonys Goncalves

Nach dieser rasanten Nummer, wird es poetisch, aber artistisch nicht minder anspruchsvoll. Trinh Tra My lebt aktuell im kanadischen Montreal, stammt aber ursprünglich aus Vietnam. Dort, in Hanoi, hat sie die Kunst der Schwert-auf-Messer-Balance erlernt. Zunächst hält sie einen Turm aus Gläsern mit mehreren Etagen auf einem Messer im Gleichgewicht, welches sie mit dem Mund fixiert. Hauptteil ihrer Darbietung aber ist die Balance eines Schwerts, das – Spitze auf Spitze – auf dem Messer ruht. Am oberen Ende des Schwerts befindet sich eine Plattform mit drei Gläsern darauf. In dieser Konstellation geht es an die Tücher, wo Trinh Tra My kunstvolle Posen in Ruhe und im Schwung präsentiert. Jonathan Rossi kommt nicht nur mit dem Rad zur Arbeit, sondern bestreitet gleich seinen ganzen Beruf damit. Der blendend aussehende Italiener ist Fahrradartist und darf sich auf dem auf der Bühne aufgebauten „Spielplatz“ austoben. Die hohen Podeste stellen für ihn kein Hindernis da, er nimmt sie locker. Faszinierend sind die Sprünge zwischen äußerst schmalen Plattformen, die er auf dem Hinterrad ausführt. Mut beweist eine Dame aus der ersten Reihe, die sich auf den Boden legt, damit Jonathan Rossi mit seinem Fahrrad über sie hinwegspringen kann. Der Pole für die Akrobatik von Eonys Goncalves ist auf eine Badewanne montiert. So kann sie nach ihrer sinnlichen Kür am Mast kühlendes Wasser aus dem Duschkopf genießen. Zusätzlich dient die Wanne als Podest für starke Handstandvariationen.


Paolo Folco, Duo Laos, Duo Jeko

Für die diesjährige Tierdressur war ursprünglich Diana Vediashkina vorgesehen. Wie schon beim Heilbronner Weihnachtscircus, konnte sie das vorgesehene Engagement nicht antreten. So erleben wir Pudel statt Dackel. Die weißen und schwarzen Hunde hören auf das Kommando von Paolo Folco. Es geht ungeheuer lebhaft zu, wenn die Vierbeiner ihr Erlerntes vorführen dürfen. So etwa Sprünge auf vier und zwei Beinen oder eine Polonaise zum Abschied. Nachdem sich ein Mitglied des Duo Jeko als Kunstschütze versucht hat, bekommt Simone Stiers einen Song lang die gesamte Aufmerksamkeit der Gäste. Ganz hinreißend interpretiert sie „Ich gehör nur mir“ – zunächst hinter einem transparenten Vorhang, dann auf dem vorderen Teil der Bühne. Immer wieder ein Genuss ist es, der einzigartigen Hand-auf-Hand-Akrobatik des Duo Laos zuzusehen. Der starke Pablo und die dagegen zierlich wirkende Mercedes liefern sich ein intensives Liebesspiel. Doch die physische Konstitution determiniert beileibe nicht das Kräfteverhältnis bei der Interaktion miteinander. Da weiß sich Mercedes sehr wohl zu behaupten, steht in einer Sequenz sogar auf dem auf dem Boden liegenden Oberkörper von Pablo. Dazu erleben wir viele anspruchsvolle Tricks, die alles andere als Standard sind. Damit setzt das Duo Laos ein Ausrufezeichen hinter den ersten Programmteil. Das Publikum feiert die Artisten entsprechend. Allerdings gibt es vor der Pause noch einen komischen Boxkampf, den sich das Duo Jeko mit einem Herrn aus dem Publikum liefert. Hier beweisen die Komiker einmal mehr mit neuen Ideen und eigenständigen Interpretationen bekannter Gags ihre Kreativität. Es wird wirklich ein großer Spaß. Allerdings könnten Requisiten und Auftreten etwas feiner sein, insbesondere in diesem Rahmen. Der Effekt einer starken Nummer vor der Pause wird so nicht erzielt.


Crazy Flight, Aleksandra Kiedrowicz, Vladimir Omelchenko

Auf eine Reise durch das menschliche Leben nimmt uns Polina Sayfudinova mit. Die einzelnen Stationen vom Baby bis zum Greis malt sie dabei mit Sand. Ihre Kunstwerke entstehen also immer nur für Augenblicke. Dank der Projektion auf eine Leinwand können wir diese im Großformat verfolgen. Nach den kleinen, filigranen Zaubereien im ersten Part sehen wir Jay Niemi jetzt mit Großillusionen. Dabei wird er von Partnerin Jade Devine und einer weiteren Dame unterstützt. Da werden in Bruchteilen von Sekunden Plätze getauscht, da verschwinden Menschen und tauchen dort wieder auf, wo man es nicht vermutet hat. Das ganze in flotter, jetzt deutlich extrovertierterer Präsentation. Die vier Artisten von Crazy Flight stehen für Menschenpyramiden und Handvoltigen. Genauso stehen sie für ihre ganz besondere Form der Aufmachung, in der sie das „Crazy“ in ihrem Namen herausstellen. Es ist schon ziemlich verrückt, wie das Quartett seine Nummer spielt. Dann geht es nach Bella Italia, denn das Duo Jeko hat seinen mobilen Pizzastand mit nach Bad Nauheim gebracht. In den passenden Outfits jonglieren sie mit Pizzen. Natürlich haben die beiden Clowns auch hier jede Menge herrliche Gags eingebaut, die sie mit viel Spielfreude servieren. Deutlich ruhiger geht es bei der Akrobatik am Luftring von Aleksandra Kiedrowicz zu. Dank ihres äußerst biegsamen Körpers zelebriert sie wunderschöne Figuren, die für einen selbst unerreichbar scheinen. Außerdem kennt sie offenbar keine Höhenangst. Einen stark ausgeprägten Gleichgewichtssinn wiederum hat Vladimir Omelchenko. Anders wäre es wohl nicht möglich, so sicher auf Türmen von übereinander gelegten Walzen zu balancieren. Aber auch auf einem Ball oder auf über mehrere Etagen gestapelten Bänken bewegt sich der Rola Rola-Artist mit der markanten blonden Frisur ohne Probleme. Zwei seiner Tricks ergänzt er um Jonglagen.


Deadly Games, Duo Vitalys, Revolution Queens

Im goldenen Outfit singt Simone Stiers die Bond-Titelmelodie „Goldeneye“. Den Agent ihrer Majestät erleben wir danach nicht, doch das Duo Deadly Games sorgt für ein ähnliches Maß an Spannung. Alfredo Silva fasziniert dabei als Messerwerfer und Armbrustschütze. Aleksandra Kiedrowicz beweist nach ihrer Luftnummer noch einmal eine Menge Mut. Denn wenige Zentimeter neben ihr finden Messer und Pfeile ihr Ziel. Am Messerbrett erhöht sie den Nervenkitzel, da sie meist nicht an einer Stelle verharrt, sondern sich schnell bewegt. Als Trefferfläche für die Messer dient zudem ein rotierender Türrahmen, in dessen Mitte Aleksandra Kiedrowicz steht. Beim Armbrustschuss über die Schulter dient Alfredo Silva ein Smartphone im Selfiemodus als Orientierungshilfe. Sicher durchbohrt der abgeschossene Pfeil einen von der Partnerin mit dem Mund gehaltenen Luftballon. Hand-auf-Hand, Hand-auf-Kopf, Kopf-auf-Fuß und Kopf-auf-Kopf – damit sind alle Elemente der Partnerakrobatik des Duo Vitalys beschrieben. Allerdings nur sehr unzureichend. Denn Pablo Nonato und Joel Yaicate liefern eine perfekte Show. Die beiden Athleten aus Peru wissen, wie man das Publikum mitnimmt. Insbesondere wenn es im Kopf-auf-Kopf eine Treppe herunter und wieder hinauf geht. Ein paar Runden auf der Bühne inklusive. Und dann ist es Zeit für die eingangs erwähnten Revolution Queens. Mit ihrer mitreißenden Performance treiben sie die Stimmung auf die Spitze. Dabei ist anzumerken, dass das Publikum den ganzen Abend über sehr gut mitgeht. Und der hat immerhin die gewohnte Länge von dreieinhalb Stunden. Die letzten Minuten gehören dem ausgiebig zelebrierten Finale, bei dem van Halens „Jump“ nicht fehlen darf. Die Gäste im Saal feiern die Akteure mit Standing Ovations.

In dreieinhalb Stunden um die Welt – das Internationale OVAG-Varieté macht es auch 2024 wieder möglich. Ganz entspannt, vom Sessel im Dolce-Theater aus zu genießen. Es sind ungemein vielfältige Eindrücke, die die Zuschauer nach dieser Reise mit nach Hause nehmen. Die Show besticht einmal mehr genauso durch Qualität wie durch Quantität. Das Programm für die Produktion im kommenden Jahr ist bereits veröffentlicht und macht definitiv große Lust auf die nächste Tour der Luxusklasse.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch