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Neues Theater - Varieté-Frühling 2024
www.neues-theater.de - 124 Showfotos

Frankfurt-Höchst, 6. März 2024: Mit dem Varieté-Frühling 2024 kehrt das Neue Theater in wesentlichen Bereichen zu Traditionen zurück. Die Anzahl der Vorstellungen pro Woche hat das Vor-Covid-Niveau erreicht. Es gibt wieder ein Nummernprogramm mit Conférencier. Und die bestens vertraute Band Neelah ist zurück. Das heißt aber nicht, dass alles so ist wie „früher“. Denn die aktuelle Show ist natürlich komplett neu zusammengestellt und grandios in Szene gesetzt mit vielen originellen Ideen.

Beim Neustart nach der Pandemie wurde nicht nur die Anzahl der Plätze im Saal reduziert, es wurden ebenfalls weniger Vorstellungen angeboten. Die Bestuhlung ist schon seit einiger Zeit wieder komplett, nun wird auch wie zuletzt 2019 von Dienstag bis Sonntag gespielt. Mittwochs sowie von Freitag bis Sonntag gibt es zwei Vorstellungen pro Tag. Ein Blick in den Saalbuchungsplan zeigt, dass die Nachfrage zum Angebot passt. Die meisten Termine sind bereits bestens verkauft.


Das Ensemble beim Finale

2023 gab es zwei besondere Produktionen. Im Frühling wurde eine 20er-Jahre-Revue gespielt, im Herbst die Absolventenshow „Spin!“. Letztere aus der Produktion von Paulsen & Consorten. Der Geschäftsführer dieser Agentur, Maik M. Paulsen, ist jetzt für die Zusammenstellung der Varieté-Programme im Neuen Theater verantwortlich, die aktuelle Show somit sein Erstlingswerk. Zumindest, wenn es um eine komplett neu zusammengestellte Vorstellung für die Spielstätte im Frankfurter Westen geht. Für die Regie wurde wiederum Karl-Heinz Helmschrot hinzugezogen.


Nicole Siegel, Herr Stanke, Cecilia Hedlund

Einen wichtigen Beitrag zum Gesamterlebnis leistet die Band Neelah. Ein Jahr lang musste das Quartett pausieren, jetzt sorgen Sängerin Nicole Siegel, Bassist sowie Gitarrist Robin Brosowski, Keyboarder Aaron Pellet und Schlagzeuger Jonathan Schuchardt wieder für wunderbare Livemusik. Bereits beim Einlass stimmen sie mit Songs - als Neo-Soul beschreibt die Formation selbst ihre Stilrichtung - auf den Abend ein. Und noch jemand ist im Saal unterwegs, während das Publikum seine Plätze einnimmt. Herr Stanke, im Aufzug eines Hausmeisters, scheint etwas zu suchen. Nach dem letzten Intro von Neelah mit Nicole Siegel in der Mitte der Bühne wird Herr Stanke dann richtig aktiv – und fündig. In einer der ersten Zuschauerreihen liegt der vermisste Teppich. Das Stück hat beachtliche Maße und ist zusammengerollt. Dann wird klar, dass das Konstrukt auf der Bühne als Teppichstange dient. Den Teppich darüber zu legen, dieser Aufgabe widmet sich Herr Stanke mit Hingabe, Einfallsreichtum und mäßigem Erfolg. Der Spaß für die Zuschauer ist dafür umso größer. Denn der vermeintliche Hauswart macht dies mit einem ausgeprägten Sinn für Komik. Seine Mimik ist herrlich witzig, seine Kapriolen ebenso. Artistische Einlagen erleben wir obendrein, denn letztendlich ist die Teppichstange ein Reck. So gibt es zum Auftakt Comedy-Akrobatik im besten Sinne. Brian O'Gott ist, der Name lässt es erahnen, ebenfalls mit reichlich Humor gesegnet. Er ist unser Begleiter durch den Abend, der uns zunächst in seinen aktuellen Wohnort Kassel mitnimmt. Eine Stadt mit drei Arten von Einwohnern, die er uns vorstellt. Cecilia Hedlund war mir bislang als mehrjähriges Mitglied der Auswahlkommission des European Youth Circus ein Name. Nun erlebe ich die Schwedin endlich auch im Scheinwerferlicht. Für ihre Handstandakrobatik stapelt sie immer mehr Stühle übereinander, um darauf ihre Tricks in beachtlicher Höhe zu zeigen. Auch wenn wir schon größere derartige Türme gesehen haben, wirken die aufgebauten Gebilde recht wackelig. Cecilia Hedlund hält sich darauf auf einer und zwei Händen im Gleichgewicht. Das ganze äußerst charmant präsentiert und gesanglich auf der Bühne durch Nicole Siegel begleitet.


Brian O'Gott, Niklas Bothe, Trio Three G

Zurück zu Brian O'Gott, zurück nach Kassel. Dort wirkten die für Märchen bekannten Brüder Grimm. Ein solches erzählt uns der Comedian und baut darin zig Ortsnamen ein, die er jeweils auf einem Schild hochhält. Bad-Newspaper nennt Niklas Bothe seine Performance am Vertikalseil. Der Absolvent der Staatlichen Artistenschule Berlin kommt als Zeitungsjunge daher, der aus der aktuellen Ausgabe des Blatts nur schlechte Nachrichten erhält. Entsprechend hängt er am Seil. Die Lethargie ist grandios gespielt, denn natürlich ist der Brandenburger ein hochmotivierter Künstler. Am Vertikalseil erleben wir starke Haltefiguren und Abfaller. Am Boden beweist er seine extreme Beweglichkeit mit Figuren aus dem Klischnigg. Niklas Bothe überzeugt mit seinen darstellerischen und akrobatischen Fähigkeiten. Die Atmosphäre des Auftritts wird durch Musik und Beleuchtung wunderbar unterstützt. An dieser Stelle ein großes Lob an Lichtdesign und Technik. Ihr Beitrag zum Gesamtkonzept ist alles andere als unerheblich. Dank eines neuen Texts wird der Schlager „Jenseits von Eden“ zu einer Aufarbeitung der Erlebnisse bei Ikea mit Brian O'Gott als Autor und Interpret. Er begleitet sich selbst auf der Gitarre, weitere musikalische Unterstützung gibt es von Robin Brosowski und Jonathan Schuchardt an Bass sowie Percussion. Sonntags hatten die Artistinnen vom Trio Three G ihre Derniere im Pariser Cirque d'Hiver, Mitte der folgenden Woche stehen sie schon in Frankfurt-Höchst vor dem Premierenpublikum. Voller Eleganz verwöhnen sie dieses mit anspruchsvollen Tricks der Partner-Equilibristik und Handvoltigen. Das Zusammenspiel der hübschen Ukrainerinnen ist traumhaft und fordert ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen. Die von ihnen erschaffenen, fragilen menschlichen Gebilde erscheinen schier unmöglich. Für das Trio Three G sind sie ohne erkennbare Mühen machbar. Rund geht es vor der Pause. Brian O'Gott und Herr Stanke nehmen in einem Social Media-Studio Platz, welches sich vertikal um die eigenen Achse dreht. Die Bilder werden auf einer rückwärtigen Leinwand gezeigt. Da sich die Kamera mitbewegt, entstehen herrliche Effekte, die witzig kommentiert werden. So wird etwa ein Becher Bier sicher durch den Umlauf gebracht.


Maxim Kriger, Brian O'Gott und Robin Brosowski

Zu Teil zwei begrüßt uns die Band Neelah mit Nicole Siegel und Robin Brosowski auf der Bühne. Wenn sich der Vorhang öffnet, geht es mit Maxim Kriger weiter. Er startet mit einem Einarmer, sein eigentliches Metier sind aber Balancen auf der Rola Rola. Diese beginnt er mit Seilspringen und dem Stapeln mehrerer Bretter auf einer Walze. Danach baut er mit seinen Requisiten verschiedene, sehr einsturzgefährdet erscheinende Türme, um sich darauf souverän im Gleichgewicht zu halten. Beim nächsten Song von Brian O'Gott gibt es Begleitung durch das eigene Gitarrenspiel sowie das von Robin Brosowski. Noch einmal darf Herr Stanke seine Späße treiben. Diesmal „zaubert“ er mit Weinflaschen und Röhren. Die bekannten Illusionen werden hier natürlich mit ganz eigener Note vorgeführt. Insbesondere sein urkomisches Mimenspiel sorgt für viele Lacher. Zum Schluss gönnt sich Herr Stanke ein Glas vom roten Rebensaft. Schon in der nächsten Sequenz ist er wieder gefragt. Brian O'Gott schickt ihn mit Smartphonekamera auf eine Backstage-Reportage. Dank der auf die Leinwand übertragenen Bilder erfahren wir einiges über das vermeintliche Luxusleben der Künstler des Abends. Humorvoll kommentiert vom Conferencier.


Niklas Bothe, TJ-Wheels

Für seinen zweiten Auftritt teilt sich Niklas Bothe die Bühne mit Sängerin und Gitarrist von Neelah. Die Szenerie ist in violettes Licht getaucht, es herrscht eine mystische Stimmung. Der Artist trägt ein dunkles, extravagantes Kostüm. Seinen Kopfschmuck übergibt er sogleich Nicole Siegel. Dann verführt er das Publikum mit einer einzigartigen Mischung aus Tanz und Reifenakrobatik unter dem Titel „Dark“. Dabei lässt er etwa einen Reifen im Standspagat um ein Bein rotieren oder aber, während er einen Handstand zeigt. Keine Interpretation erfordert die Nummer von TJ-Wheels, die er nach einem weiteren Lied von Brian O'Gott präsentiert. Auf Rollschuhen saust der Absolvent der Berliner Artistenschule mit der markanten Glatze durch eine Halfpipe. Dabei jongliert er mit Keulen, Bällen und Reifen. Oder aber er balanciert während der Fahrt eine Kugel, die auf einem langen Stab ruht, auf der Stirn. Offensiv sucht und findet er den Kontakt zum Publikum. Wie vereinbart rastet dieses aus, als TJ-Wheels im zweiten Anlauf sechs Ringe jongliert und dann um den Hals legt. Kaum nimmt er den frenetischen Applaus entgegen, stehen auch schon seine Künstlerkollegen neben ihm. Das Finale schließt sich nahtlos an und wird ausführlich zelebriert. Es gibt originelle Zugaben bei Partystimmung, zum Schluss stehen alle Artisten in einer Reihe nebeneinander. Das gewohnte Abschiedsbild. Die Gäste bedanken sich mit Standing Ovations, die Begeisterung im Saal ist hör- und sichtbar groß.

Diese Rückkehr zu Höchster Traditionen mit vielen neuen Impulsen überzeugt auf ganzer Linie und macht Lust auf mehr. Zudem hat die Show genau die richtige Länge. Wenn es nach mir geht, dürfen die Macher gerne genau so weitermachen. Für mich eine der stärksten Varieté-Produktionen der letzten Jahre im Neuen Theater. Ein starkes Ensemble, eine hervorragende Band und eine grandiose Inszenierung ergeben hier ein harmonisches Ganzes. Ein Abend, den man einfach nur genießen kann.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch