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Circus Knie - Tour 2024
www.knie.ch ; 196 Showfotos

Rapperswil, 15. März 2024: Mitte März schaut die internationale Circuswelt nach Rapperswil. Seit nunmehr 105 Jahren setzt der Circus Knie mit seinen jährlich wechselnden Programmen einen der wichtigsten Maßstäbe der Branche. Am Ort des Stammsitzes am Zürichsee feiern sie ihre Premiere. Genauso blickt die ganze Schweiz dann auf die Show, die in den kommenden Monaten auf Tournee durch die Alpenrepublik gehen wird. Schließlich ist Knie der National-Circus, den jeder Bewohner des Landes kennt und mehr oder weniger regelmäßig besucht.

Insbesondere die zweite Gruppe ist relevant für die Direktionsfamilie, die das Unternehmen inzwischen in der siebten Generation leitet. In den letzten Jahren wurde viel in Technik investiert. Die Tiere sind mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Immer wieder sind bekannte Vertreter der Comedyszene Teile oder gar Headliner der Show. Das ist bei der Produktion 2024 nicht anders.


Circus Knie in Rapperswil

Die Lichtanlage ist gigantisch und für einen Circus, der regelmäßig seinen Standort wechselt, eine Rarität. Sie wird grandios eingesetzt, das Ergebnis ist ein einzigartiges Lightdesign. Kleine, intime Szenen werden genauso überzeugend ausgeleuchtet wie Bilder mit dem gesamten Ensemble. Für den musikalischen Part steht wie gehabt das Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil zur Verfügung. Auch der Sound im Chapiteau mit außenliegenden Masten ist hervorragend. Es wird vermehrt auf eingängige Melodien gesetzt. So erklingt etwa „A whole new world“ aus dem Disney-Film Aladdin gleich an mehreren Stellen. Wieder mit dabei ist die große Rundbühne, die für ihre Einsätze in die Manege gefahren wird. Sie erlaubt neben Licht- ebenfalls Wasser- und Feuereffekte. Dass die zugehörige Logistik reibungslos funktioniert, ist insbesondere der Verdienst von Maycol, Wioris und Guido Errani.


Finale

Insgesamt finden aber wieder mehr Darbietungen auf Sägemehl sowie dem Manegenteppich statt. Ob die Show sich in diesem Jahr wieder Richtung Circus bewegt, darüber wird bei der Premiere ausgiebig diskutiert. Dies ohne eindeutigen Ausgang. Den überzeugendsten Beitrag zum klassischen Circus erbringt einmal mehr die achte Generation mit wunderschönen Pferdedressuren. Die Sparte Humor ist modern besetzt. Da sind die Schweizer Comedians Peter Pfändler und Carlos Amstutz sowie der Circus-erfahrene „Coperlin“ Dustin Nicolodi. Besonders gelungen ist die Sparte Artistik ausgestaltet. Es gibt viele Genres, die bei Knie länger nicht mehr zu erleben waren oder gar im Circus in Summe selten zu sehen sind. Das sorgt für spannende Erlebnisse.


Victor Moiseev, Carlos Amstutz und Peter Pfändler, Secret of my soul

Los geht es mit einem Opening Bingo-Style. Eingeleitet wird es von einer Saxofonistin im Engelskostüm und Maycol Knie junior mit einer großen weißen Feder. Sie stehen auf einem runden Podium vor dem Artisteneingang, während die Mitglieder des Circus-Theaters aus Kiew nach vorne auf die große Bühne strömen. In rot-weißen Kostümen zeigen sie ihre dynamischen Moves und Elemente der Handstandakrobatik. Erstmalig dabei sind Artistinnen mit langen Kleidern, die auf schwankenden Masten hin und her wiegen. Zu guter Letzt mischen sich die georgischen Tänzer und die Truppe Extreme Lights unter die Bingo-Akteure. Dann erleben wir auch schon den Mann, der in diesem Jahr das Plakatmotiv bildet. Mit markant geschminktem Gesicht lässt Victor Moiseev beleuchtete Bälle durch den Raum fliegen. Seine Horizontaljonglagen präsentiert er durchaus geheimnisvoll. Es entstehen raumgreifende, ungewöhnliche Bilder. Eine innovative Darbietung, die in den letzten Jahren vor allen Dingen im Cirque du Soleil zu sehen war. Anschließend geben die Schweizer Komiker – als „Pfändler mit! Amstutz“ werden sie angekündigt – erstmalig ihre Visitenkarte ab. Der Basler Schauspieler Carlos Amstutz spielt den ruhigeren Part, der Zürcher Comedian Peter Pfändler übernimmt die lebhafte Partie. Im ersten Auftritt wechselt Pfändler mehrfach die Rolle. Sprich, er schlüpft in die Kostüme bekannter Schweizer Zeitgenossen und imitiert diese. Inhaltlich dreht es sich unter anderem um die Eigenheiten verschiedener Regionen des Landes. Ein schönes Zusammenspiel mit der Sängerin leitet die Akrobatik am Luftring des Duo Secret of my soul ein. Dann geht es für Marina und Oleksii Grigorov Richtung Kuppel. Sie zaubern traumhafte Bilder, die so leicht aussehen und doch so vieles erfordern. Etwa Kraft, einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn und nicht zuletzt gegenseitiges Vertrauen. Es ist ein leidenschaftliches Spiel, das durch die Musik wunderbar veredelt wird.


Georgian Dancers, Catwall Acrobats, Marc Jonin

Große rote Tücher sind Teil der nächsten Choreografie von Bingo in den Aufgängen des Gradins. In weiten roten Mänteln und schwarzen Hosen erleben wir sodann die Georgian Dancers. Die feurigen Tänze seiner Heimat zelebriert das männliche Quintett mit viel Inbrunst. Immer wieder integrieren die Protagonisten energiegeladene Sprünge. Als Clou lodern im letzten Teil ihres Auftritts kleine Flammen am äußeren Rand der Rundbühne. Vor rund zwanzig Jahren konnten wir eine derartige Darbietung bei Nock (2004) und Arlette Gruss (2005) erleben. Daran wird sich aber so gut wie keiner der Premierengäste in Rapperswil erinnern. Somit ergibt sich hier ein echter Überraschungseffekt. Während Peter Pfändler und Carlos Amstutz ihren nächsten Einsatz auf dem Gradin beginnen, wird die große fahrbare Bühne aus der Manege gebracht. Zusätzlich zu ihrem sonstigen Outfit tragen die Comedians Hosen vom Nationalsport Schwingen. Als Gags gibt es unter anderem zahlreiche Wortspiele mit Indern. Mäßig originell, aber witzig gespielt. Statt der Bühne steht sodann ein riesiges Trampolin auf dem Sägemehl. Ein Quartett der Catwall Acrobats darf sich darauf austoben und gewagte Sprünge zeigen. Nach ein paar Minuten werden die beiden äußeren Seiten des bis dahin in einer Ebene liegenden Requisits nach oben geklappt. Der mittlere Teil bleibt in der Horizontalen. So ergibt sich die Optik einer Halfpipe. Auf der werden dann noch abgefahrene Sätze gewagt. Der gewaltige Aufbau wirkt imposant, nimmt er doch den gesamten Durchmesser der Manege ein. Für einige der Zuschauer kommt es, ähnlich wie bei der Bahn für die Radartisten im Vorjahr, zu Sichteinschränkungen. Eine Saxofonistin im Zuschauerraum zieht die Blicke auf sich, während das Trampolin heraus- und eine kleinere Rundbühne hereingebracht wird. Sie dient als Podium für die Freestyle-Football-Künste von Marc Jonin und Sebastian Ortiz Hernandez, kurz Boyka. Der Schweizer ist zweifacher nationaler Meister, der Kolumbianer zehnfacher Champ in seinem Heimatland. Für Knie machen die beiden Sportartisten gemeinsame Sache und begeistern – trotz ein wenig Premierennervosität – mit viel Ballgefühl und coolen Moves. Damit gewinnen sie im Nu die Sympathien des gesamten Publikums, ganz gleich welchen Alters. Eine mitreißende Performance, die man in einem Circus nicht erwartet und die so für den nächsten innovativen Moment sorgt.


Coperlin Dustin Nicolodi, Chanel Marie Knie, Ivan Frédéric Knie

Nach sechs Jahren zum Circus Knie zurückgekehrt ist Dustin Nicolodi mit seiner Figur Coperlin. Der großartige Magier verblüfft vor allen Dingen mit herrlichem Humor. Er spielt etwa auf einer Kerzenorgel, lässt ein Stofftier lebendig werden oder jongliert mit Schwertern. Was er macht, wie er es macht und wie er es kommentiert, das alles ist wirklich urkomisch und erzeugt das große Lachen. Auch wenn man die Gags eigentlich schon kennt, amüsieren sie einen immer wieder. Vor der Pause stehen Mitglieder der Direktionsfamilie auf dem Sägemehl, um die edlen Pferde des Hauses zu präsentieren. Den Beginn macht Chanel Marie Knie. An einer Leine führt sie Schimmel Laureus herein, der mit zwei Flügeln geschmückt ist. Souverän leitet sie ihn zu Schulschritten an. Das Auge wird mit Dressurkunst und poetischen Momenten verwöhnt. Sodann präsentiert sie zwei Friesen, die unter anderem rückwärts laufen und sich mit den Vorderbeinen auf die Piste stellen. Maycol junior kommt mit zwei gescheckten Ponys und lässt sie unter den Friesen hindurchlaufen. Weiter geht es mit weißen Arabern im Nebel, die sich zunächst frei bewegen. Dann mischt sich Ivan Frédéric Knie auf einem Friesen reitend unter die Gruppe und dirigiert den Elferzug zu einer wunderschönen Freiheit. Variantenreiche Figuren, in Bewegung und stehend, arbeiten die herrlichen Pferde auf Kommando ihres jugendlichen Trainers. Klassische Circuskunst par excellence. Kaum sind die großen Vierbeiner hinter dem Vorhang verschwunden, rennt Maycol junior mit einem seiner Ponys herein, lässt es über niedrige Barrieren springen und leitet es zum Steigen an. Das Finale bestreitet sein Bruder. Drei braune Araber springen zunächst über die Barrieren, dann bringt Ivan Frédéric sie in den Zwischenräumen zum Stehen. Es schließt sich ein dreifacher Vorwärtssteiger an, bevor die Geschwister gemeinsam den frenetischen Applaus des Publikums entgegennehmen.


Extreme Light, Carmen und Holler, Kateryna Korneva

Zu Beginn des zweiten Teils ist wieder die Bühne aufgebaut und wir erleben ein Fest aus Wasser, Feuer, Licht, Musik und Artistik. Eine Akteurin in einer sich öffnenden, beleuchteten Plexiglaskugel zelebriert Akrobatik. Unter ihr schlagen Männer in Overalls mit Drumsticks auf große Tonnen. Diese haben oben eine Schicht Wasser und können dank LEDs auf der ganzen Höhe illuminiert werden. Dazu gibt es Wasserfontänen in der Mitte und Flammen am Rand der Bühne. Hinter diesem Spektakel voller Effekte steht die Crew von Extreme Light. Mit einem Gast aus dem Publikum führt Coperlin auf dem vorderen Teil der Piste stehend Kartentricks vor. Statt um die Magie geht es auch hier zu allererst um den Spaß. Die Rollschuhakrobatik von Holler Zavatta-Bogino und Carmen Ribas-Segura haben die beiden im Stil ihrer spanischen Heimat gestaltet. Zur authentischen Aufmachung kommen starke Tricks, die das gutaussehende junge Paar souverän präsentiert. Spektakulär sind insbesondere die rasanten Touren, bei denen Holler seine Carmen nur mit den Zähnen festhält, während diese ebenfalls mit ihrem Gebiss am Verbindungsstück hängt und sich dabei um die eigene Achse dreht. Das gegenseitige Vertrauen ist offensichtlich grenzenlos. Von diesem Duo wird noch zu hören sein. Die zwischen den Sitzreihen stehende Violinistin und die Saxofonistin lenken die Blicke auf sich, während die Bühne hinausgefahren wird. Als lebender Ticket- und Snackautomat der SBB bringt Peter Pfändler den Bahnkunden Carlos Amstutz schier zur Verzweiflung. Auch hier gibt es wieder etliche Pointen, die für Lachen im Rund sorgen. Allerdings wird auch jetzt kein Bezug zum Circus oder gar zu Knie aufgebaut. Alle Nummern können genauso gut an anderer Stelle gespielt werden. Schon zu Beginn der letztjährigen Tournee war Kateryna Korneva mit ihrer Kür am Flying Pole beim Schweizer National-Circus zu erleben. Bald aber legte sie eine Babypause ein. Nun können wir ihren von der Violinistin in der Manege begleiteten Auftritt erneut genießen. Hier darf der Zuschauer träumen, großes artistisches Können erleben und mit der hübschen jungen Dame mitfiebern. Denn ihre Kunststücke sind mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden. Etwa, wenn sie sich in luftiger Höhe nur mit einer Ferse an einem Ring festhält, der an der Stange befestigt ist. Es herrscht durchaus Erleichterung, wenn Kateryna Korneva wieder sicheren Boden unter den Füßen hat.


Dalian Acrobatic Troupe, Coperlin Dustin Nicolodi, Team Navas

Sechs junge Männer in schwarz-weißen Alltagsklamotten und mit dunklen Schiebermützen betreten die Manege. In der Hand halten sie kleine Metallkoffer. In jedem davon befindet sich eine Schnur mit jeweils einer kleinen Schüssel an den Enden. In diesem Setting lässt die Dalian Acrobatik Troupe ihre Meteore fliegen. Eine in der Tat ungewohnte Präsentation für eine traditionelle chinesische Kunst. Die 2019 beim Cirque de Demain mit Gold prämierte Darbietung verbindet die eigentliche Jonglage mit Elementen der Ikarischen Spiele sowie der Handvoltigen. So entstehen wirklich neuartige Bilder. Die Verpackung zeichnet sich mithin ebenso durch Originalität aus wie die eigentliche Leistung. Nach „magischen Momenten“ mit Tüchern und Weinflaschen lässt Coperlin zusammengeknüllte Papiertaschentücher verschwinden – direkt vor den Augen eines Zuschauers. Vermeintlich steckt er sich das Tuch in eine seiner Hände und der Gast muss raten, in welche. Doch der hat keine Chance, denn die Kleenex verschwinden auf ganz andere Weise. Selbst wenn der Trick mit einem Schuh vollführt wird, schwant dem Herrn aus dem Publikum nichts. Auch diese Nummern wird von Dustin Nicolodi herrlich komisch gespielt. Nach langer Zeit gibt es bei Knie wieder die Disziplin Todesrad zu sehen, oder wie sie nun heißt „Wheel of Speed“. Dies gleich in doppelter Ausführung. Die beiden Räder hängen nebeneinander, laufen aber im vorderen Bereich aufeinander zu, ohne sich nur annähernd zu berühren. Darauf arbeiten Hugo Gonzalez Esqueda, Jose Ponce Ramos, Julian Aragon Zambrano und Sergio Celedon Quezada vom Team Navas. Zumeist werden auf beiden Requisiten die gleichen Tricks gewagt. Höhepunkt sind Salti auf den sich drehenden Außenrädern. Somit sorgen die Hasardeure für ordentlich Nervenkitzel vor dem Finale. Dieses wird durch ein aufblasbares weißes Pferd mit Flügeln angekündigt, das über den Köpfen der Zuschauer durch das Chapiteau schwebt. Zwischen den Sitzreihen des Gradins laufen Bingo-Mitglieder mit beleuchteten Kugeln. Auf der inzwischen aufgebauten Bühne erwarten die Saxofonistin mit Flügeln am Kostüm und Maycol junior mit einer Feder den fliegenden Pegasus. Dann gesellen sich Schwester Chanel und die Violinistin zu Maycol junior. Mit einem ausfahrbaren Podest in der Mitte geht es für sie in die Höhe. Auf dem Rand der Bühne sowie an der Piste steht das Ensemble in blau-weißen Kostümen. Dazu gibt es Wasserfontänen, Flammen und ein Feuerwerk aus der Kuppel. Es entsteht ein wahrlich imposantes Bild. Das Publikum feiert es - sowie die gesamten Show - mit minutenlangen Standing Ovations. Geraldine Knie spricht die Dankes- und Abschiedsworte. Nach einer Choreographie im Bingo-Stil fällt der letzte Vorhang.

Der Circus Knie hat sein Programmkonzept in den letzten Jahren entscheidend verändert. Die Shows sind deutlich moderner, technisch aufwendiger geworden. Das erfordert ganz gewiss Mut. Die für den wirtschaftlichen Erfolg entscheidende Zielgruppe, nämlich die nahezu gesamte Schweizer Bevölkerung, dürfte sich damit bestens angesprochen fühlen. Die Besucherzahlen der letzten Saisons zeigen das. Dem Circuspuristen mag der neue Stil nur bedingt gefallen. Doch auch er kommt auf seine Kosten. Die Elemente des klassischen Circus bilden nach wie vor den Kern der Produktion und die moderne Aufmachung setzt neue, spannende Impulse. So oder so bietet der Schweizer National-Circus 2024 wieder eine ganz große, aufregende Show, die begeistert. Ein faszinierendes Erlebnis!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch