Nun
erhält André Hieronymus doch noch die Gelegenheit, sich einem größeren
Publikum zu präsentieren. Während er in „TOLLhouse“ den Vermieter
spielte, der Mitglieder für seine Wohngemeinschaft suchte, gibt er in „Generations“
den Vater – verlassen von der Exfrau, die mit Tochter Fiona ausgezogen
ist. Sohn Craig lebt dagegen mit seiner Freundin Coco beim Papa, beide
tragen „jeweils 60 Prozent“ der Miete. Ein gutes Geschäft also für
Hieronymus, dessen amüsante Sprüche als „Kapitän der guten Laune“ und
Vertreter des „preußischen Entertainments“ langjährig bekannt sind,
beispielsweise auch aus seiner Friedrichsbau-Verpflichtung 2008 in
„Bitter Sweet“. Der stattliche Herr in schwarzem Frack und mit
ebensolchem Zylinder auf dem Kopf ist eine markante Persönlichkeit, die
in Erinnerung bleibt. Und außerdem ein Zauberer, der sein Handwerk
beherrscht. Er kann sowohl Münzen verschwinden lassen als auch
Zehn-Euro-Scheine in Hunderter verwandeln. Frei nach dem Motto „Der
Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ unterhält sein „Sohn“ Craig Christian
im komplett schwarzen Outfit mit Kartenmanipulationen auf dem großen
Bett in der Bühnen-Wohnung, musikalisch begleitet von einer coolen
Version von „Feeling Good“.
Ensembleszene
Die
Rückkehr der Tochter, begleitet von ihren Freunden, wird in einer
großen, Charivari-artigen Ensembleszene gefeiert. Dabei rotiert das Bett
mehrfach um die eigene Achse, ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens.
Illusionen in allen Facetten bilden einen Schwerpunkt des kreativen
Schaffens im Friedrichsbau-Varieté, und in der aktuellen Show gelingt es
Regisseur Ralph Sun, wieder einmal eine ganz neue Facette davon zu
präsentieren.
Alex Black, Craig
Christian und Covo Frankitt, Nataliia Vorona
Alex
Black steht hierfür eine große Leinwand zur Verfügung, welche die
gesamte Rückwand der Bühne ausfüllt. Dabei interagiert er mit dem
Geschehen auf dem Screen - zwischen Blitzen und Sternenhimmel, zwischen
Eiscreme und Burger, mal scheinbar ein großes, dreidimensional wirkendes
Auto auf seinen Händen drehend, mal von munter schwimmenden Fischen
umgeben. Ein faszinierendes Zusammenspiel aus Realität und Fiktion,
Video und Hologrammen, das locker durch verschiedene Zeiten springt.
Ganz und gar nicht locker ist Hieronymus, der den jugendlichen Besuchern
vorhält, dass er selbst mit 18 Jahren schon den Facharbeiter-Brief
gehabt habe. Nach weiteren Einlassungen zur Jugendsprache, von „goofy“
bis „NPC“, kommt er zum Schluss, dass Jung und Alt so gut zusammenpassen
wie das Zähneputzen mit einer Drahtbürste angenehm ist. Etwas „cringe“
erscheinen uns jedenfalls die zahlreichen Re-Engagements im
Friedrichsbau. Genau ein Jahr nach seinem ersten Engagement ist Craig
Christian hier wiederum vertreten. Per Kamera auf die Leinwand im
Bühnenhintergrund geworfen wird von Assistentin Coco Frankitt sein Spiel
mit Münzen, die er in wundersamer Weise ihre Plätze wechseln und sich
vermehren lässt. Das ist uns eben aus der Herbst-Produktion 2023 noch in
bester Erinnerung. Nataliia Vorona oszilliert bei ihrer sinnlichen
Pole-Akrobatik zwischen schwerlosem Tanz und interessanten, kraftvollen
Figuren. Als besonderer Clou ergreift sie am Ende, von der Oberkante der
Bühne und scheinbar aus dem Nichts, ein rotes Gymnastikband, das sie
effektvoll in ihr Spiel einbezieht. Humorvoll gelöst wird der Abbau des
Requisits, den Mitglieder des Ensembles mit Plan in der Hand
generalstabsmäßig angehen.
Fiona Rother, Alex Black
und Natalia, Nataliia Vorona
„Blöder
Platz“ ist quasi der Rufname, den der schlecht gelaunte André Hieronymus
für einen Zuschauer in den ersten Reihen wählt, der beim Hütchenspiel
raten muss („Er kann nicht gewinnen, da ist ein Trick dabei.“). Aus dem
Ensemble der Absolventenshow der Berliner Artistenschule 2023 kommt
Fiona Rother mit ihren Gymnastikbällen, die nunmehr wie Augäpfel
gestaltet sind. So startet André Hieronymus' "Tochter" zu einem
Rückwärtssalto mit dem Ball in den Händen und landet bäuchlings auf
diesem. In ebenso liegender Position hüpft sie auf dem Ball, gefolgt von
Drehungen und Wendungen. Bemerkenswert ist der Schlusstrick, bei dem sie
vom freien Stand auf dem Ball in eine Brückenposition wechselt. Dazu
flimmern auf der Leinwand bedeutungsschwere Texte rund um die
Wahrnehmung mit den Augen und das Zusammenwirken von Jung und Alt. Und
der Screen im Hintergrund kommt gleich nochmals zum Einsatz, wenn bei
Alex Black und Partnerin Natalia eine reale Quickchange-Nummer mit den
eingeblendeten Titeln von Modezeitschriften kombiniert wird. Die Outfits
korrespondieren dabei mit den Magazincovern. Die kreative, fantasievolle
Nummer gipfelt im Erscheinen eines plastisch wirkenden Fisches, der
offenbar vor der Leinwand schwebt, sowie einer wundersamen
Regenschirm-Vermehrung. André Hieronymus tritt nochmal in direkte
Interaktion mit dem Publikum, unter anderem mit einem Trick, bei der
eine Zuschauerin die richtige Spielkarte durch Auspendeln erkennt.
Nataliia Vorona tauscht nun den Pole gegen zwei rote Strapatenschlaufen,
an denen sie kunstvolle Posen demonstriert, und mit Tricks wie
Genickhang, Abfaller bis in den Fußhang und Seitspagat ohne Einsatz der
Hände beeindruckt.
Elias Oechsner,
Hieronymus, Uliana Khavrona
Während
sich die „Jugend“ zum Beginn des zweiten Programmteils um den Fernseher
schart, räsoniert „Papa“ Hieronymus darüber, dass diese Generation eher
mit einem „Hausverbot“ als dem früher üblichen Hausarrest zu bestrafen
sei. Keine Hochglanz-Nummer, sondern einen eher alternativen Act, den
man sich auch beim Straßentheater vorstellen könnte, steuert Elias
Oechsner bei. Er beginnt seine Balljonglagen zunächst mit eigenem
Singsang statt Musik vom Band und tritt mit seinen Bällen in Interaktion
wie mit dressierten Tieren. Sie werden zusätzlich auf Stühlen wie auf
Postamenten platziert. Aber auch das eigentliche Können kommt nicht zu
kurz, beispielsweise bei Jonglagen hinter dem Rücken. Originell ist
überdies, wenn er einen Ball mit dem Fuß durch einen Ring wirft, den er
an einem Stab in der Hand hält. Nachdem Hieronymus feststellt, dass es
wohl Beschwerden zu seinem Ton gegeben habe, will er nun zeigen, dass er
auch anders kann. „Spiel mal was Peppiges“ ruft er in Richtung
Musikregie und blödelt sich im lila Anzug und mit aufgesetzter
Fröhlichkeit durch einige Zaubertricks. Eine dritte Variante ihrer
Kombinationen aus Realität und Fiktion servieren Alex Black und Natalia,
die nunmehr vor
neuen Leinwandmotiven mit Leuchtobjekten jonglieren. In einem sexy
schwarzen Netzoutfit lässt Uliana Khavrona die Hula-Hoop-Reifen kreisen.
Auf einen Tanz mit den Reifen, bei denen diese auch geworfen werden,
folgen klassische Tricks. Bis zu sechs Hula Hoops drehen sich in hoher
Geschwindigkeit um ihren Rumpf, um ihre Arme und Beine. Das Publikum
geht begeistert mit. Abschließend bewegt sie genretypisch ein ganzes
Bündel aus Reifen.
Hieronymus, Gabriel
Drouin, Craig Christian
„Der
Vater gibt eine Runde aus“ lautet das Motto, wenn Hieronymus auf
vergnügliche Weise immer mehr Glasflaschen aus Röhren hervorzieht und
dabei Gläser und Flaschen die Plätze tauschen lässt. Ganz ernsthaft wird
es dagegen nochmal bei der Schlussnummer. Gabriel Drouin ist ein Typ wie
ein Baumstamm, dazu passen Holzfällerhemd, Tattoos sowie Vollbart. Die
Statur hält ihn nicht davon ab, im Cyrrad behände über die Bühne zu
rotieren, sich bei den dynamischen Bewegungen teils nur mit einer Hand
haltend. Craig Christians abschließende Magic-Nummer, in der sich
scheinbar seine Finger verlängern, kennen wir im Wesentlichen aus dem
Vorjahr. Auch die Rahmenhandlung kommt zu ihrem Ende – die angeblich so
nervigen „Kids“ verlassen die Wohnung, der Vater bleibt enttäuscht und
traurig zurück, sucht Trost bei seiner Spielzeug-Ente. Nun erkennt
Hieronymus, dass Jung und Alt trotz aller Gegensätze zusammengehören,
dass er froh ist, seine Familie zu haben. Die Versöhnung mit dem
wiederum zurückgekehrten Craig bildet das Happy End dieser Vorstellung. |