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Ein
Quartett spielt auf dem Vorplatz Musik, beste Einstimmung auf
das Folgende, außerdem bleibt natürlich genug Zeit für
Gespräche. Die Bühne steht vor der Burgruine, ihr gegenüber
die überdachte Tribüne. Zusätzlich gibt es etliche Stuhlreihen
auf den Boden.

Entree der Burgfestspiele
Die
Mitwirkenden der Produktion haben die Verantwortlichen bei den
Bürgerhäusern Dreieich wiederum selbst ausgewählt. Allen voran
die Leiterin Veranstaltungen Maria Ochs. Wie in den
vergangenen Jahren ist ihr eine wunderbare Mischung aus
Bekanntem und Neuem, aus Traditionellem und Innovativem
gelungen. Das alles ergibt ein stimmiges Ganzes, hat die
richtige Länge und ist so abwechslungsreich, wie Varieté eben
sein sollte. Die Choreographie von Opening und Finale hat
Samira Buchner übernommen. Sowohl in der Einleitung als auch
in der Verabschiedung zeigen die Mitwirkenden Ausschnitte aus
ihrem Repertoire. Zunächst als Appetithappen, später als
Zugabe. Zudem gibt es Szenen mit dem gesamten Ensemble, das
sich hier in kurzer Zeit gefunden hat.

This
Maag
Durch das
Programm führt, wie schon bei der letzten Ausgabe, ein
Entertainer aus der Schweiz. Auf Martin O. folgt This Maag. Er
unterhält mit visueller und verbaler Komik. Eine Banane dient
ihm als veganes Mikrofon, wenn er witzige Anekdoten erzählt.
Seine lebendigen Augen erzählen Geschichten ganz ohne Worte.
Er ist spontan, improvisiert und sucht immer wieder die Nähe
zum Publikum. Wenn bei einer Mitmachnummer nicht nur das dafür
ausgewählte Mädchen mitmacht, sondern auch deren Eltern
mitmischen, rettet er die Situation charmant. Mithilfe der
Banane macht er Gedanken einzelner Zuschauer hörbar. Ein Gast
darf This Maag mithilfe eines Eimers den Kopf verdrehen.
Wenngleich der Schweizer schon seit über 30 Jahren im Geschäft
ist, ist er für mich ein neues Gesicht. Eines, das ich sehr
gerne auf der Bühne kennengelernt habe.
  
Vladimir Omelchenko, Kathy Donnert, Marica Marinoni
Mit zwei
Vertretern der klassischen Circus- und Varietékunst beginnt
der artistische Part. Vladimir Omelchenko hat sich den
Rola-Rola-Balancen verschrieben. Er stapelt mehrere Walzen in
immer neuer Zusammensetzung übereinander, um sich darauf auf
einem Brett stehend im Gleichgewicht zu halten. Dabei
jongliert er mal mit Ringen, mal mit Keulen. Auch das
Seilspringen auf wackeligem Untergrund ist für ihn kein
Problem. Das alles verkauft der Akrobat mit der markanten
blonden Frisur sehr offensiv. Den Vater von Kathy Donnert
kennen wir noch aus den Manegen von Krone und Barelli, wo
Karoly Donnert seine große Tigergruppe sowie den Tiger zu
Pferd präsentiert hat. Seine Tochter jongliert sehr charmant
mit den Füßen. In ihren Antipodenspielen lässt sie geschickt
Tücher rotieren sowie Walzen und Bälle durch die Luft fliegen.
Zum Finale bugsiert sie mit den Füßen einen Ball über mehrere
Stufen eines Gestells in einen Korb an dessen Spitze. Der
gewinnende Verkauf der attraktiven Künstlerin erreicht auch
die Zuschauer in den letzten Reihen. Marica Marinoni sicherte
sich 2024 den Grand Prix beim Cirque de Demain in Paris.
„Quelle Roue?!“ hat sie ihre Performance am Roue Cyr genannt.
Es ist eine moderne Inszenierung, die herausfordert, wenn man
sich mit ihrem tieferen Sinn auseinandersetzen will. Oder aber
man genießt einfach die starke Trickfolge, mit der die
Italienerin rundum überzeugt. Darin hat Marica Marinoni
ausdrucksstark Standards und Neuartiges integriert.

The
Shester's
Komplett
aus dem Rahmen ihres Genres fallen Manoela Wolfart und Rubén
Burgos. Als The Shester's präsentieren die Brasilianerin und
der Spanier die Kunst des Messerwerfens mit einer „freakigen
Attitüde“, wie es die Website der Burgfestspiele formuliert.
Was die beiden machen ist genauso abgefahren wie der Stil, in
dem sie es zeigen. Die beiden sind reichlich tätowiert, tragen
markante Frisuren und coole Kostüme. Ihr Auftrittsstil ist
extrovertiert, abgefahren. Zudem sind sie grandiose Artisten.
Rubén platziert zielsicher die Messer, immer knapp an Manoela
vorbei. Die Wurfgeschosse landen an einem herkömmlichen Brett,
an einem Pendel, das vor Manoela hin und her schwingt oder auf
den rotierenden Blättern eines Mühlrads, hinter dem sie steht.
Es fliegen nicht nur „herkömmliche“ Messer, sondern ebenfalls
brennende und Äxte. Zum Schluss wirft Rubén die Messer auf
eine sich drehende Scheibe, auf der Manoela fixiert ist. Ganz
nebenbei werden die Rollen gewechselt. Dann platziert sie die
Messer präzise neben ihm. Ein einmaliges Erlebnis. Ich freue
mich schon, diese Darbietung ein weiteres Mal sehen zu dürfen.
Wo auch immer das sein wird. Mit diesem Act geht es in die
Pause. Der zweite Teil soll eigentlich vom Duo Giurintano
eröffnet werden. Doch Marcello, der Partner von Kathy Donnert,
verletzt sich beim Aufwärmen. So muss die Rollschuhakrobatik
an diesem Abend kurzfristig ausfallen. Da ist es gut, wenn der
Moderator ein Meister der Improvisation ist. Spontan kreiert
This Maag gemeinsam mit Daniel Simu eine neue Nummer. Die
beiden arbeiten Passings mit Keulen. Zwischen ihnen steht ein
Zuschauer mit Zigarette im Mund, die ihm von den beiden
Artisten schlussendlich per fliegendem Jonglierrequisit
abgenommen wird.
  
Daniel Simu, Lena Ries, Mukhamadi Sharifzoda
Nach einer
Einlage von This Maag hat Daniel Simu dann sein Solo. Wobei es
eigentlich eine Duo-Nummer ist. Allerdings teilt sich der
junge Niederländer im Overall dafür die Bühne mit einem
Roboter. Folgerichtig läuft sein Auftritt unter dem Titel „Acrobot“.
Und der ist absolut faszinierend, denn wir erleben
letztendlich eine ausgereifte Partnerakrobatik, mit einem
Untermann aus Fleisch und Blut sowie eben einem Roboter. Die
Bewegungsabläufe sind ungeheuer authentisch. Wir sehen etwa
ein Hand-auf-Hand oder einen einarmigen Handstand auf einer
Hand von Daniel Simu. Auch die Flugsequenzen wirken so, als
wären hier zwei Menschen am Werk. Originelle Einfälle sind
ebenfalls eingebaut, etwa wenn es dem Roboter an Energie
mangelt. Im Januar 2026 geht es für Daniel Simu und Partner
zum Internationalen Circusfestival von Monte Carlo. Für die
Luftnummer ist wieder ein Gestell aus drei oben
zusammenlaufenden Masten neben der Bühne aufgebaut. In diesem
Jahr zelebriert daran Lena Ries ihre Kür am Luftring. Sie
wurde an der École nationale de cirque in Montréal gleich in
mehreren Disziplinen ausgebildet. Und diese verbindet sie
jetzt zu einer abwechslungsreichen Darbietung, in der sie eine
beeindruckende Körperbeherrschung beweist. Elemente der
Kontorsion sind genauso dabei wie der Zehenhang. Beim Zusehen
gerät man ins Staunen und Träumen. Der Schlussact gehört einem
weiteren Preisträger des Cirque de Demain 2024. Mukhamadi
Sharifzoda wurde dort für seine außergewöhnliche
Handstandakrobatik mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.
Sein Podest wird aus Bauklötzen gebildet, die Handstäbe
ebenfalls. Dabei ist nichts statisch. Das Requisit verändert
sich, einzelne Klötze legt der junge Artist aus Tadschikistan
auf seine Körper oder wirft sie zur Seite. Bald hat er nur
noch einen Turm für seine Tricks zur Verfügung, am Ende keinen
mehr. Beeindruckend etwa, wenn er von einer Handstandwaage in
einen Einarmer wechselt. Oder wenn er im Einarmer immer wieder
von links nach rechts springt. Starke Akrobatik trifft hier
auf einen ausgeklügelten Mechanismus. Denn das so zufällig
erscheinende Auseinanderfallen des Klötzchenbergs ist
natürlich genau geplant. |