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44. Festival International
du Cirque de Monte Carlo 2020

www.montecarlofestival.mc
105 Fotos Show A ; 113 Fotos Show B ; 13 Fotos Gala/Ambiente

Monte Carlo, 21. bis 31. Januar 2020: Es dürfte wohl keiner daran gezweifelt haben, dass der Schweizer National-Circus Knie – vertreten durch die „junge Generation“ Ivan Fréderic Knie und die Brüder Maycol und Wioris Errani – zum „Abräumer“ des 44. Circusfestivals von Monte Carlo werden würde. Man hatte den Eindruck, dass das ganze Festival auf die Teilnahme der Familie Knie/Errani ausgelegt war: das Motto lautete „Die Schönheit des Pferdes“, das Plakat zierte ein Pferd, und in der Tierschau nahmen die Pferdestallungen wohl noch nie so viel Platz ein wie heuer.

Doch wer die hervorragenden Pferdedarbietungen sah, konnte keinen ernsthaften Zweifel daran haben, dass der Goldene Clown für den Circus Knie nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Hoch zu Ross führte Ivan Fréderic Knie edle Araberhengste und zusammen mit Wioris Errani die doppelte Ungarische Post vor, während Maycol Errani zunächst eine herrliche Friesenfreiheit und wie sein Schwiegervater Fredy Knie jun. das große Pferdekarussell präsentierte.


Ivan Fréderic Knie, Maycol und Wioris Errani

Verdienter Lohn für diese Meisterleistungen der Pferdedressur der Familie Knie/Errani waren neben dem Goldenen Clown und dem Publikumspreis noch sieben weitere Sonderpreise. In der Preisträgergala würdigten zudem Fürst Albert und Prinzessin Stéphanie mit einem Sonderpreis das Lebenswerk von Fredy Knie jun., der sich mit Ende der letztjährigen Circussaison aus der Manege verabschiedet hatte. Auch wenn dieser sich bewusst während der Vorstellungen im Hintergrund hielt und die Vorführung den nächsten Generationen überließ, trug diese doch eindeutig die Handschrift des Pferdefachmanns par excellence.


Flying Tuniziani, Martinez Brothers 

Auch der Goldene Clown für die Martinez Brothers und ihre ikarischen Spiele war sozusagen einer „mit Ansage“. Vor der Teilnahme in Monte Carlo erhielten der 18-jährige Deivid und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Arashi bereits bei vier Festivals Goldpreise, so u. a. in Girona oder beim Idol-Festival. Nicht verwunderlich, dass es somit auch an der Côte d’Azur Gold gab. Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit katapultiert Deivid seinen kleinen Bruder zu immer neuen Flugfiguren in die Luft und lässt ihn sicher landen. Doch: bei aller Begeisterung für die ikarischen Spiele der Sprösslinge einer kolumbianisch-japanischen Artistenfamilie sei eine Frage gestattet. Bedarf es tatsächlich des Schlusstricks, bei dem sich die Trinka auf einer Scherenbühne befindet? Deren Grundfläche ist nicht viel größer als selbige und wird bis auf eine Höhe von acht Metern hinaufgefahren. Auch ohne diesen gefährlichen Nervenkitzel vermag diese Nummer ob ihrer Leistung zu überzeugen. Den dritten Goldenen Clown sprach die Jury um Prinzessin Stéphanie der Truppe Tuniziani mit ihrem doppelten Fliegenden Trapez zu. Für eine Fülle von anspruchsvollen Sprüngen, darunter als Höhepunkt der vierfache Salto, nutzen sie zwei „Flugbahnen“. Dies geschieht größtenteils jedoch abwechselnd und nur selten mit parallelen Sprüngen. Schön mal wieder ein Flugtrapez zu sehen, bei dem der Fokus auf überzeugender Leistung ohne viel Drumherum liegt.


Sergey Nestorov, Truppe Shandong

Den Reigen der Gewinner des Silbernen Clowns eröffnete der russische Tierlehrer Sergey Nestorov. Sein Vorführstil ist sehr, sehr ruhig und lässt ob der Nähe zu seinen fünf weißen Tigern und dem weißen Löwen leicht vergessen, dass es sich um gefährliche Raubtiere handelt. Dies ist sicher nicht jedermanns Sache, die Qualität der Dressur ist jedoch zweifellos anzuerkennen. In einem schlichten weißen Kostüm geht Nestorov im wahrsten Sinne des Wortes auf Tuchfühlung mit seinen Großkatzen. Er lässt sie Sprünge absolvieren, Fächer laufen oder auf den Hinterbeinen die Manege durchschreiten, wobei er lediglich einen kleinen Stab zum Dirigieren der Tiere nutzt. Ein Highlight sicherlich der Rückwärtssteiger eines Tigers, der hinter dem Rücken des Tierlehrers absolviert wird. Ebenfalls Silber ging an die Artistentruppe aus Shandong. In drei Auftritten zeigten die chinesischen Artistinnen und Artisten die klassischen Genres der Hutjonglage (in einer Michael-Jackson-Choreographie), des Seilspringens (zu klassischer Musik in schlichten schwarzen Kostümen) und des Tellerdrehens (in traditioneller „Verpackung“) als große Gruppennummern, garniert mit zahlreichen menschlichen Pyramiden.


Truppe Ayala, Dandys, Henry Ayala

Schon einmal durften sich Johnny Gasser und Yury Kreer über einen Silbernen Clown freuen. Zusammen mit Carol Demers als Fliegerin bildeten sie das Trio „White Crow“ und begeisterten 2007 mit ihrem Russischen Barren. Vierzehn Jahre später stellten sich Johnny und Yury, die mit Kiril Ivanov einen neuen Flieger gefunden hatten, noch einmal der Jury und erhielten erneut „Silber“. Als „Dandys“ zeigten sie nicht weniger als fünf unterschiedliche Dreifachsalti, und dies mit einer faszinierenden Sicherheit. Fans des Zirkus Charles Knie ist Henry Ayala als „Prince of Clowns“ bekannt, der für PR-Termine auch schon mal auf einer Zeltabspannung seine Hochseilkünste zeigte. In Monte Carlo konnte man ihn nun auch mit seiner Hochseiltruppe bewundern. Sowohl mit seinem komödiantischen Talent (unter anderem Spaghetti-Entree und Glockenspiel) als auch mit seiner hervorragenden Hochseilnummer, die er zusammen mit seinen drei Partnern zeigte, wusste der Venezolaner zu begeistern. Er erhielt ebenfalls einen Silbernen Clown.


Flash of Splash, Truppe Bingo, Truppe Efimov

Yevgen Splash und Amaliya Avanesia (Duo Flash of Splash) gehörten mit ihrer risikoreichen Strapatendarbietung zum letztjährigen Circus-Krone-Sommerprogramm „Mandana“. Für ihre zahlreichen Tricks, die mehrfach im Zahnhang ohne Vorteil ausgeführt wurden, bekamen sie ebenso einen Bronzenen Clown wie die Truppe Efimov. Diese zeigte auf dem Fasttrack und dem Trampolin die unterschiedlichsten Sprüngen. Das Circustheater Bingo zeichnete, unterstützt von der Circusschule aus Kiev, wieder einmal für das fulminante Opening verantwortlich und leitete jeweils das Finale ein. Aus ihren Reihen rekrutierten sich die „Five Boys of Bingo“, die Partnerakrobatik und Akrobatik an zwei Chinesischen Masten miteinander kombinierten; auch hierfür gab es „Bronze“.


Truppe Zola

Aus der Mongolei war die Truppe Zola angereist, um mit dem Schleuderbrett waghalsige Sprünge zu absolvieren. Mit zahlreichen Salti und Pirouetten garniert, gingen sie bis hoch unter die Circuskuppel oder auch zu einem Sieben-Mann-Hoch. In beiden Auswahlvorstellungen missglückten allerdings mehrere Sprünge. Die Akteure landeten dann auf der Matte oder wurden unsanft von der Longe „gerettet“, deren Einsatz den ein oder anderen Trick überhaupt erst ermöglichte. Verletzungsbedingt konnten sie an der Gala nicht mehr teilnehmen.


Sandro Montez, Duo Skyline, Lisa Rinne

Über den Preis der Kinderjury konnte sich Sandro Montez aus Deutschland freuen. Seine äußerst temperamentvollen Hunde (überwiegend Border Collies) entpuppten sich als echte Sprungkünstler und fegten stets regelrecht durch die Manege. Ebenfalls aus Deutschland stammt Lisa Rinne, die sich um die Sprossen ihrer Strickleiter nach oben zum Schwungtrapez schlängelte und dann variantenreiche Abfaller und Salti zeigte. Neben dem Sonderpreis des Teatro München durfte sie sich über den Sonderpreis der Gesellschaft der Circusfreunde e.V. freuen. Auch Olena Kharchenko und Anastasia Parkhomenko zeigten spektakuläre Abfaller hoch unter der Circuskuppel – als Duo Skyline an den Tuchstrapaten. Sie gehörten ebenfalls zu früheren Preisträgern des European Youth Circus wie Maria Saratch mit ihrer Equilibristik-Darbietung und Francoise Rochais. Letztere lässt  bei ihrer außergewöhnlichen Jonglage unter anderem gespannte Regenschirme durch die Luft fliegen. Ihr Lebensgefährte „Elastic“ (Stephane Delvaux) vermochte mit seinen sehr langen Comedyeinlagen, die man in der zweiten Show bereits merklich gekürzt hatte, nicht zu überzeugen. Nicht nur mit der Weite des Circuszeltes hatte Taschendieb Rafal Walusz zu kämpfen, sondern auch mit der Tatsache, dass heutzutage die „Opfer“ kaum noch Stehlgut bei sich tragen. In einem kleineren Rahmen kommt seine Fingerfertigkeit sicherlich besser zur Geltung, in Monte Carlo tat er sich leider sehr schwer. Mit einem spektakulären Trick beenden Vladimir Karvatyuk und Vladimir Snitko ihre solide Hand-auf-Hand-Akrobatik: eine Balance auf zwei Spitze auf Spitze belancierten Messern, deren Griffe von beiden jeweils mit dem Mund gehalten werden. Für die wortreichen Ansagen zeichnete abermals Petit Gougou verantwortlich. Beim Opening und zum Finale leisteten ihm die Maskottchen des China International Circusfestivals, Kiko und Kika, Gesellschaft. Sie warben für die im letzten Jahr geschlossene strategische Partnerschaft des Circusfestivals von Monte Carlo mit der chinesischen Chimelong Gruppe. Diese veranstaltet nicht nur das chinesische Circusfestival, sondern besitzt auch die größten Freizeitparks und Circusgebäude im Reich der Mitte.

Bereits vor zwei Jahren hatte Reto Parolari den Taktstock an Vladimir Jäggi übergeben und seine Karriere als Circus-Kapellmeister beendet. Als Supervisor und musikalischer Leiter zeichnete er jedoch weiterhin, bis zu seinem überraschenden Tod im Dezember letzten Jahres, für das Circusorchester in Monte Carlo verantwortlich. Mit stehenden Ovationen würdigte man bei der Premierenvorstellung den unvergessenen Dirigenten, Orchesterchef sowie Schöpfer so vieler herrlicher Circusmusiken. Sein Orchester verabschiedete sich mit einem Medley seiner Circusmelodien von seinem Maestro.

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Text: Gabriele Haas; Fotos: Stefan Nolte