Deutlicher als in den Vorjahren
prallen diesmal Nummern unterschiedlichster Stilrichtungen
aufeinander. Die aus über dreihundertfünfzig Bewerbungen
ausgewählten Darbietungen zeugen von der enormen Bandbreite
dieser Kunstform: von klassisch präsentierter
Hochleistungsakrobatik über moderne oder gar zeitgenössische
Inszenierungen bis hin zu Nummern, die von der örtlichen
Presse zuweilen als „anarchisch bis surreal“ gefeiert werden
und meist doch ohne Preis, sprich einem Engagement in einem
hiesigen Varieté, auskommen müssen.
Shena Tschofen
Anders die Gewinnern Shena
Tschofen, die auch ganz real den besten Beitrag dieses
Festivals bietet. Mit charmant-zurückhaltendem Auftreten zeigt
die Artistin mit österreichischen Wurzeln nicht nur neuartige
und schwierige Tricks wie einen Spagat im überdimensionalen
Rad. Choreographie, Musik und Kostüm bilden eine schlichte,
aber stimmige Kombination (Hauptpreis/Krystallpalast,
Pegasus).
Ugo Sanchez Jr., Heart‘s Desire,
Duo Magnus
Eine Type verkörpert Ugo
Sanchez Jr. Mit stoischer Gelassenheit und zu
liebenswert-nervender Musik gestaltet der Italiener mit
Schnauzer und Hochstehfrisur seine zwei Auftritte. Zunächst
schießt er mittels immer größer werdenden Wasserpistolen auf
immer kleiner werdende Kerzen. Schließlich gurgelt er „Imagine“.
Beides ist ein großer Spaß (Festungsvarieté). Eine recht
klassische Inszenierungsidee haben Heart‘s Desire gewählt,
indem sie ihre Nummer am Pole als erotisch-knisterndes
Miteinander der Geschlechter gestalten. Immerhin gewinnen die
Ukrainer dem Trendrequisit einige neue Figuren ab, etwa wenn
sie auf den Füßen ihres sich kopfüber von der Stange
abdrückendem Partner die Waage hält (Et Cetera). Noch
konventioneller ist der Auftritt des Duo Magnus. Zu epochaler
Musik beeindrucken die beiden ebenfalls aus der Ukraine
stammenden Artisten mit einer leistungsstarken
Hand-auf-Hand-Akrobatik, die schließlich im Kopf-auf-Kopf
gipfelt (Publikumspreis).
Danil Lysenko, Shu Takada, Mica
Paprika
Im von Martin Quilitz
moderierten Programm finden sich abermals viele Jongleure.
Technisch stark hält der Ukrainer Danil Lysenko bis zu zwölf
Ringe in der Luft, seine moderne Aufmachung gibt allerdings
nicht viel her (Apollo). Thomas Staath hingegen jongliert mit
schweren Autoreifen zu klassischer Musik, wodurch der Auftritt
des Franzosen an Skurrilität gewinnt (Winterträume). Mehr
davon hätte auch der Hutjonglage des Mexikaners Braunny Lopez
gut gestanden, schließlich ist seine Darbietung auf komische
Art gedacht. Entwicklungspotenzial hat auch die junge Polin
Marta Madry, die im reduzierten zeitgenössischen Stil auf
bekanntes Repertoire verzichtet und ihre Reifen geschickt
andersartig manipuliert. Klassisch dagegen die Balancen von
Mica Paprika. Auf einem Stab im Mund hält der Portugiese
beispielsweise einen Turm aus Gläsern in der Waage
(Europapark). In einem an Sciencefiction mahnenden Auftritt
verblüfft Shu Takada mit seinen Jojos. Der Japaner beherrscht
unglaubliche Figuren mit seinem Spielgerät (GOP).
Anton Mikheev, Mawarimichi, The
Amazing Other
Eine Mischung aus
Objektmanipulation und Luftakrobatik bietet Anton Mikheev.
Während der Russe gängige Figuren an den Strapaten zeigt, hat
er auch stets einen kleinen Gymnastikball dabei. Meist lässt
er ihn parallel auf seinen Fingerkuppen rotieren
(Wintergarten). Eine eigenwillige Inszenierung als
80er-Jahre-Wrestler überlagert das technische Niveau der
Trapez-Darbietung von The Amazing Other. Starke Voltigen und
interessante Tricks wie ein spezieller Zopfhang leiden unter
der überdrehten Darstellung des skandinavischen Duos. Ähnlich
verrückt interpretieren schließlich Mawarimichi die bekannte
Kisten-Illusion neu und auf humorvolle Weise. Die Japaner
durchbohren den Karton, in dem einer der beiden sitzt, mit
vielen bunten Regenschirmen – ähnlich bunt wie dieses
Festival, das im kommenden Jahr sein 20-jähriges Jubiläum mit
einer extra langen Ausgabe feiert. |