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Newcomershow Krystallpalast 2019
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Leipzig, 7. Juli 2019: Drei Ausrufezeichen. Mehr Bemerkungen zur Darbietung von Shena Tschofen finden sich im Notizblock nicht. Die junge Amerikanerin lässt es mit ihrem Auftritt bei der Newcomershow im Krystallpalast schlicht nicht zu, abzuschweifen und sich um etwas Banales wie Notizen zu kümmern. Ihre Darbietung am Cyr-Rad ist nicht nur akrobatisch absolut hochwertig, sondern vielmehr: atmosphärisch, eindringlich, berührend. Die Jury empfindet offenbar genauso. Sie zeichnet Shena Tschofen mit dem Hauptpreis des  bedeutendsten jährlichen Artistik-Wettbewerbs in Deutschland aus.

Deutlicher als in den Vorjahren prallen diesmal Nummern unterschiedlichster Stilrichtungen aufeinander. Die aus über dreihundertfünfzig Bewerbungen ausgewählten Darbietungen zeugen von der enormen Bandbreite dieser Kunstform: von klassisch präsentierter Hochleistungsakrobatik über moderne oder gar zeitgenössische Inszenierungen bis hin zu Nummern, die von der örtlichen Presse zuweilen als „anarchisch bis surreal“ gefeiert werden und meist doch ohne Preis, sprich einem Engagement in einem hiesigen Varieté, auskommen müssen.

 
Shena Tschofen 

Anders die Gewinnern Shena Tschofen, die auch ganz real den besten Beitrag dieses Festivals bietet. Mit charmant-zurückhaltendem Auftreten zeigt die Artistin mit österreichischen Wurzeln nicht nur neuartige und schwierige Tricks wie einen Spagat im überdimensionalen Rad. Choreographie, Musik und Kostüm bilden eine schlichte, aber stimmige Kombination (Hauptpreis/Krystallpalast, Pegasus).


Ugo Sanchez Jr., Heart‘s Desire, Duo Magnus 

Eine Type verkörpert Ugo Sanchez Jr. Mit stoischer Gelassenheit und zu liebenswert-nervender Musik gestaltet der Italiener mit Schnauzer und Hochstehfrisur seine zwei Auftritte. Zunächst schießt er mittels immer größer werdenden Wasserpistolen auf immer kleiner werdende Kerzen. Schließlich gurgelt er „Imagine“. Beides ist ein großer Spaß (Festungsvarieté). Eine recht klassische Inszenierungsidee haben Heart‘s Desire gewählt, indem sie ihre Nummer am Pole als erotisch-knisterndes Miteinander der Geschlechter gestalten. Immerhin gewinnen die Ukrainer dem Trendrequisit einige neue Figuren ab, etwa wenn sie auf den Füßen ihres sich kopfüber von der Stange abdrückendem Partner die Waage hält (Et Cetera). Noch konventioneller ist der Auftritt des Duo Magnus. Zu epochaler Musik beeindrucken die beiden ebenfalls aus der Ukraine stammenden Artisten mit einer leistungsstarken Hand-auf-Hand-Akrobatik, die schließlich im Kopf-auf-Kopf gipfelt (Publikumspreis).


Danil Lysenko, Shu Takada, Mica Paprika 

Im von Martin Quilitz moderierten Programm finden sich abermals viele Jongleure. Technisch stark hält der Ukrainer Danil Lysenko bis zu zwölf Ringe in der Luft, seine moderne Aufmachung gibt allerdings nicht viel her (Apollo). Thomas Staath hingegen jongliert mit schweren Autoreifen zu klassischer Musik, wodurch der Auftritt des Franzosen an Skurrilität gewinnt (Winterträume). Mehr davon hätte auch der Hutjonglage des Mexikaners Braunny Lopez gut gestanden, schließlich ist seine Darbietung auf komische Art gedacht. Entwicklungspotenzial hat auch die junge Polin Marta Madry, die im reduzierten zeitgenössischen Stil auf bekanntes Repertoire verzichtet und ihre Reifen geschickt andersartig manipuliert. Klassisch dagegen die Balancen von Mica Paprika. Auf einem Stab im Mund hält der Portugiese beispielsweise einen Turm aus Gläsern in der Waage (Europapark). In einem an Sciencefiction mahnenden Auftritt verblüfft Shu Takada mit seinen Jojos. Der Japaner beherrscht unglaubliche Figuren mit seinem Spielgerät (GOP).


Anton Mikheev, Mawarimichi, The Amazing Other 

Eine Mischung aus Objektmanipulation und Luftakrobatik bietet Anton Mikheev. Während der Russe gängige Figuren an den Strapaten zeigt, hat er auch stets einen kleinen Gymnastikball dabei. Meist lässt er ihn parallel auf seinen Fingerkuppen rotieren (Wintergarten). Eine eigenwillige Inszenierung als 80er-Jahre-Wrestler überlagert das technische Niveau der Trapez-Darbietung von The Amazing Other. Starke Voltigen und interessante Tricks wie ein spezieller Zopfhang leiden unter der überdrehten Darstellung des skandinavischen Duos. Ähnlich verrückt interpretieren schließlich Mawarimichi die bekannte Kisten-Illusion neu und auf humorvolle Weise. Die Japaner durchbohren den Karton, in dem einer der beiden sitzt, mit vielen bunten Regenschirmen – ähnlich bunt wie dieses Festival, das im kommenden Jahr sein 20-jähriges Jubiläum mit einer extra langen Ausgabe feiert.

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Text: Benedikt Ricken, Fotos: Pan Ray Photography / Krystallpalast Varieté