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Und schon blicken wir mitten
hinein in den Laden. Wir können eine Stehlampe und zwei
Schaufensterfiguren entdecken, außerdem Kleiderständer mit allen
möglichen Textilien. An den Wänden hängen Bilder, eine
Kastenuhr, ein Schaukelpferd und Regale mit weiteren
Gegenständen.
  
Maskenfiguren
öffnen den großen Schrank, eine Artistin steigt aus der Truhe,
Marceau Bidal schwebt an Strapaten
Auf Rollen werden weitere
Möbelstücke hereingefahren – der Clown entsteigt einem
Kleiderschrank, der Jongleur einer Kommode, die Fahrrad-Artistin
einer Truhe. Das zwölfköpfige Ensemble zieht uns mit seinem Tanz
hinein in die Geschichte – mal gemeinsam lachend, mal sich alle
kratzend. Ob es sie wohl juckt, weil in den Waren aus zweiter
Hand ein paar Flöhe stecken? Perfekt in die Szenerie fügt sich
die Darbietung des Franzosen Marceau Bidal. Seine Arbeit an den
Strapaten hat er in eine Geschichte gekleidet. Sie zeigt ihn
zunächst beim Lesen in vergessenen Liebesbriefen am
Schreibtisch, zum Ende seiner Darbietung dann in einem Wirbel
inmitten eines Sturms der losen Blätter, die so viele
Erinnerungen bedeuten. Dazwischen gibt es kraftvolle Posen,
Schwünge und Überschläge zu bewundern. Eine Besonderheit ist,
dass die Strapatenbänder über eine Rolle verbunden sind und so
in asymmetrischer Weise verwendet werden können.
  
Duo Cirkoscopik, Merlin
Matthewson, Frédéric Langevin und Charlotte Cayer
Die heruntergefallenen Briefe
wieder einzusammeln, dieser Aufgabe widmet sich das Komikerduo
dieser Show. Joaquim Verrier (Frankreich) und Emma Verhaeghe
(Belgien) alias Duo Cirkoscopik, eigentlich ausgebildete
Artisten mit Abschluss in Montréal, haben hier zwei klassische
Clownsfiguren geschaffen. Bunte Kleider, rote Nasen und weiße
Schminke um Mund und Augen sorgen für ein traditionelles und
zugleich zeitgemäßes Bild, eine Symbiose von früher und heute.
Die Beseitigung der Briefe wird mehrfach zunichte gemacht, indem
sie und er ihren großen Sammelkorb „versehentlich“ auf den Kopf
drehen und eben wieder von neuem beginnen müssen. Letztendlich
klappt es doch, wenigstens kurzzeitig alle einzusammeln; die
letzten Blätter befördert Emma im Handstand in den Korb. Als sie
ein weiteres Mal ausgekippt sind, befördert der kanadische
Jongleur Merlin Matthewson diese in einen Schrank. Und zeigt uns
gleich darauf sein Können. Im 70er-Jahre-Outfit mit buntem Hemd
und passendem Stirnband sowie mit Jeans-Schlaghose und
Denim-Weste beschränkt er sich auf die Arbeit mit fünf Keulen.
Diese jedoch bewegt er in sehr außergewöhnlichen,
tänzerisch-exzentrischen Wurfmustern, beispielsweise zwischen
seinen Beinen hindurch. Passenderweise ist die Musikbegleitung
dazu sehr reduziert. Natürlich gibt es in einem Seconhand-Shop
auch Kleider. Wie man diese rasant anprobiert, zeigen Frédéric
Langevin und Charlotte Cayer in einer kurzen
Quickchange-Darbietung. Sie wechselt zweimal das Outfit, er
einmal – dies auch bei einem kurzen Gang zwischen den beiden,
üppig mit Textilien behängten Kleiderständern hindurch.
 
Ensemble, Duo Cata
und Jay
Daraus entwickelt sich ein
Rennen des gesamten Ensembles in Zeitlupe, bei dem es um die
Jagd nach den besten Stücken aus einem Klamottenhaufen geht.
Nach einem fröhlichen Tanz mit den Textilien fungiert Joanna
Lokaichuk im Handstand als menschlicher Kleiderständer. Ein
nicht ganz intaktes „Fahrrad“ finden Catarina Vilas und Gabriel
Lorenzo Pereira de Souza Chagas aus Brasilien – in Kurzform das
Duo Cata und Jay – im Brockenhaus, wie die Schweizer zu
Second-Hand-Läden sagen. Sie zeigen ihre Kunst auf
einem Einrad und mit einem separaten, daran nicht befestigten
Lenker. Mit Augenzwinkern wird eine vermeintliche
„Ungeschicklichkeit“ zur Schau gestellt. Wenn sie auf seinem
Kopf sitzt, während er auf dem Einrad fährt, und dann nach einem
gespielten Sturz in seinen Armen gefangen wird oder wenn sie
später im freien Stand auf seinem Kopf balanciert, dann wird
doch deutlich, dass hier großes Können erforderlich ist. Im
ersten Teil der Nummer wird auf eine musikalische Begleitung
verzichtet. Das Duo kommt glänzend an und erntet letztlich
riesigen Jubel.
 
Frédéric Langevin und
Matthieu Larose, Ensemble
Die nächsten
Second-Hand-Gegenstände, um die es geht, sind zwei graue
„Matratzen“, die von den Clowns herbeigeschleppt und zum
Klettern genutzt werden. Die beiden Kanadier Frédéric Langevin
und Matthieu Larose verwenden die Requisiten für ein
akrobatisches Potpourri, beginnend bei einem Sprung über einen
der Quader in ein Hand-auf-Hand. Es folgen Elemente einer
Kaskadeur-Nummer und auch welche der ikarischen Spiele. Der auf
dem Rücken liegende Matthieu wirbelt Frédéric mit den Füßen
durch die Luft. Vor der Pause staunen wir noch über ein klein
wenig Magie: Aus einer Kommode mit drei Schubladen tauchen – so
scheint es – unten Catas Beine, in der Mitte ihre Hände und oben
ihr Kopf auf. Doch plötzlich rutschen ihr Kopf und ein Arm in
der obersten Schublade nach rechts, während der Rest des Körpers
links verweilt!
  
Duo Up’n’Down, Charlotte
Cayer, Duo Cirkoscopik
Das Clownsduo
Cirkoscopik
empfängt uns zum Beginn der zweiten Hälfte. Wunderbare
Sympathieträger sind die beiden, fröhlich und freundlich. In
dieser Szene möchte Joaquim mit Zigarrenkisten jonglieren, doch
Emma versucht immer wieder, ihn mit ihrem Trompetenspiel zu
erschrecken. Natürlich auf liebenswerte Weise. Nach so viel
Heiterkeit wird es wieder geheimnisvoll – die beiden
Schaufensterpuppen erwachen zum Leben. Sie werden zu Laurine
Dumora (Frankreich) und Dimitri Terribilini (Schweiz), die als
Duo Up’n’Down gemeinsam den Chinesischen Masten erklimmen. Und
das Publikum erstaunt aufschreien lassen, wenn sie – ineinander
verschlungen – kopfüber die Stange hinuntersausen. Die beiden
begeistern mit kraftvollen, auch außergewöhnlichen Tricks. Zum
Beispiel, wenn sie in waagrechter Position den Mast
„hinunterläuft“, während er sie am Becken fasst, sich selbst nur
mit seinen Beinen am Mast haltend. Eindrucksvoll auch Dimitris
freier Stand auf dem Oberkörper der Partnerin, die sich am Pole
festklammert. Joaquim beweist uns noch, dass er auch mit vier
Zigarrenkisten jonglieren kann, selbst wenn ihm Emma weitere
Streiche spielt. In einer wunderbaren Ensemblenummer „trommeln“
die Artistinnen und Artisten mit ihren Händen rhythmisch auf der
Oberfläche von aneinander gereihten Kisten, hinter denen sie
sitzen. Nur ihre Hände werden beleuchtet. Ein Bild, das uns
dank der Synchronität der Bewegungen an die Girl-Reihe im
Berliner Friedrichstadt-Palast denken lässt. Das fünfköpfige
Orchester spielt wie gewohnt im typisch verträumten Monti-Sound,
diesmal auf einem Podium über der Szenerie. Von dort schwingt
sich Charlotte Cayer zu ihrer Tüchernummer in die Luft. Sie
zeigt quasi Akrobatik „am alten Bettlaken“, einem weiteren
Fundstück aus diesem speziellen Ladengeschäft. Begleitet von
ruhiger Musik, wagt sie beispielsweise einen Abfaller in den
Fußhang, hält sich nur in einem Ellenbogen am Tuch und schwebt
im Spagat zwischen den Stoffbahnen. Mit der Tücke des Objekts zu
kämpfen haben die Clowns, bis endlich die Liedblätter planmäßig
am Notenständer befestigt sind. Dann musizieren sie gemeinsam,
eng umschlungen: Er bedient das Akkordeon, das sie hinter den
Rücken geschnallt hat, während sie die Trompete bläst.
  
Joana Lokaichuk, Ensemble,
Finale mit Mario Muntwyler
Joana Lokaichuk aus
Deutschland hat 2023 die Berliner Artistenschule absolviert.
Handstandnummern werden dort viele produziert, doch sie hat sich
einen besonderen Clou überlegt, kreiselt zunächst rasant auf
einer drehbaren Platte und wechselt dann zu klassischer
Equilibristik auf langen Handstäben. Auch diese drehen sich auf
der Platte im Kreis, was zusätzliche Effekte kreiert. Ihr
Requisit ist in eine Art sechseckigen Schrank eingebaut, so dass
auch hier der Bezug zum Thema der Show hergestellt wird. Nochmal
wird nun eine Prise Magie serviert – ein Lampenschirm schwebt
frei über dem Ständer neben einem Sessel und wird von einer der
Maskenfiguren vom Anfang sanft zu seinem Platz dirigiert. Vor dem
Finale erleben wir nochmals das gesamte Ensemble in einer
speziell für Monti kreierten Nummer. Reifenspringen,
Drei-Personen-Hoch, Hand-auf-Hand-Akrobatik und Handvoltigen
werden schwungvoll und mit guter Laune präsentiert. Im Finale
gesellt sich Monti-Junior Mario Muntwyler zu dem Völkchen im
Brockenhaus. Im Sessel sitzend, liest er aus losen Blättern. Und
stellt dabei die Verbindung her zwischen der Welt der
Trödel-Läden und der des Circus – in beiden Fällen geht es
darum, das Vorgefundene, das Traditionelle aus der Vergangenheit
anzunehmen und es für aktuelle Zwecke anzupassen, mit
innovativen Elementen zu versehen.
  
Wagen,
Bogenmastenchapiteau, Kasse auf der Basler Rosentalanlage
So wie der Circus Monti das
nostalgische Flair seiner herrlich gepflegten Circuswagen mit
einem klimatisierten Bogenmasten-Chapiteau auf dem neuesten
Stand und bequemen Klappsitzen im Inneren kombiniert. Und
Programme kreiert, die „Neuer Circus“ sind und doch auch
bezaubernd nostalgisch wirken. Wir tauchten auf der Basler
Rosentalanlage in diese zauberhafte Welt ein. |