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Circus Harlekin - Tour 2025
www.circusharlekin.ch ; 178 Showfotos

Frutigen, 30. August 2025: Schon vor drei Jahren hatten wir den Circus Harlekin auf dem ehemaligen Flugplatz in Frutigen besucht, wenige Wochen nach dem plötzlichen Tod seines Gründers und Direktors Peter „Pedro“ Pichler. Mitten in der Jubiläumssaison zum 30-jährigen Bestehen seines Unternehmens war er an seinem Lieblings-Tourneeort Leukerbad verstorben. Zum Saisonende verließ dann auch seine langjährige Manegenpartnerin im Clownsduo „Les Nicas“ und Co-Direktorin Monika Aegerter den Circus. Und so fragten wir uns: Wird es den Harlekin – den wir so sehr schätzen – weiter geben?

Längst zeigt sich, dass die Sorgen unbegründet waren. Pedros Tochter Nicole, ihr Ehemann Petro und ihre Mutter Beatrice führen den Circus Harlekin in seinem Sinne weiter. Und dies mit großem Erfolg. Einige traditionell schwächere Gastspiele wurden gestrichen, der Verlauf der Tourneeroute – vorwiegend durchs Berner Oberland und das Wallis – optimiert. Nicole Pichler beweist auch in der dritten Saison unter ihrer Leitung ein hervorragendes Händchen dafür, weiterhin interessante, qualitative und stimmungsvolle Programme mit viel Humor und Musikalität zusammenzustellen. Und so reisen wir diesmal im Vertrauen darauf an diesen Ort, dass der „Harlekin“ mit seinem schmucken, blau-weißen Zelt noch viele Jahre hochwertigen Circus auch in kleine und kleinste Schweizer Städte und Dörfer bringen wird.


Orlandito Gomez, Apple Girma, Mr. Jumping

In den vergangenen beiden Saisons hat hier der Franzose Thomy Leglise alias Clown Mister Tomito für Heiterkeit gesorgt. Im Barwagen belegt sein Foto, neben denen von Pedro als Clown in der Harlekin-Manege, welch große Stücke die Direktion auf ihn hält. Dennoch wurde für 2025 ein neuer Spaßmacher gefunden: der Peruaner Orlandito Gomez, der davor lange mit US-amerikanische Circussen auf Tournee war. Er spielt ein Kind, das sich im Opening zum Schlafen in sein Gitterbett legt, mit einem Plüsch-Clown in den Armen. Nicole Pichler und die äthiopische Artistin Apple Girma versuchen, ihn zu wecken – doch er schlummert weiter und wird im Traum zum Clown, tauscht das Nachthemd gegen einen schwarzen Anzug mit roter Weste sowie eine rote Clownsnase. Und so beginnt die Vorstellung mit Apple Girmas Luftakrobatik an Seidentüchern. Tuch und Kostüm sind farblich aufeinander abgestimmt. Den Spagat zwischen den Stoffbahnen, ansprechende Posen und wagemutige Abfaller demonstriert die junge Frau mit einem strahlenden Lächeln. Orlandito stellt in seiner ersten Reprise seine Geschicklichkeit unter Beweis. Zunächst mit einem wassergefüllten Glas, das in einem Dreieck aus Holz steht, welches er an einer langen Schnur kreisen lässt. Dann mit Eiern, die er nicht nur zum Jonglieren nutzt. Seine Szenen mögen mehr zum Schmunzeln denn zum Schenkelklopfen einladen. Doch ein Profi ist er in jedem Fall. Die Rolle des Kindes spielt er überzeugend; Mimik und Gestik beeindrucken. Geradezu ein Klassiker zirzensischen Humors ist die komische Trampolinnummer mit Sprungturm. Mr. Jumping zeigt fast alles, was zu diesem Genre gehört, vom Striptease und diversen Pannen bis hin zu dem ein oder anderen akrobatischen Trick wie dem abschließenden Doppelsalto. Nur auf die vermeintliche „Trunkenheit am Trampolin“ wird hier wohl aus Gründen der Familienfreundlichkeit verzichtet. So oder so trifft sein Auftritt voll den Nerv des Publikums und kommt im kompakten Harlekin-Chapiteau besonders gut rüber.


Duo Nazu, Nicole Pichler

Traditionell pflegt der Circus Harlekin gute Beziehungen mit Äthiopien und hat auch in dieser Saison mehrere Artisten aus dem ostafrikanischen Land im Programm. Außer der bereits erwähnten Apple Girma wurde auch das Duo Nazu gebucht. In ihrem ersten Auftritt widmen sich Untermann Mohammed und Flieger Fasil den ikarischen Spielen. Dies in klassischer Aufmachung mit schwarzer Hose, weißem Hemd, Hosenträgern und Fliege. Zum Repertoire gehören beispielsweise Pirouetten und Kreiseldrehungen in liegender Position, zweimal eine Serie von Überschlägen – erst im Scheinsturz, dann Fuß-auf-Fuß geendet – und schließlich eine Abfolge von 15 Überschlägen. Der Doppelsalto als traditioneller Spitzentrick des Genres ist nicht dabei. Clown Orlandito holt eine Dame und einen Herren aus dem Publikum für eine originelle Variante der Filmszene in die Manege. Er erhält zunächst ein Sakko, sie Kleid und Perücke. Als der Mitspieler seine Sache nicht „gut genug“ macht, werden flugs die Kostümierung und damit die Geschlechterrollen getauscht. Eine weitere Tradition im Circus Harlekin betrifft das Engagemen von Tiernummern des schwedischen Cirkus Olympia, die Nicole Pichler – nach Training vor Ort in Skandinavien – dann auf sympathische Weise im eigenen Unternehmen vorführt. Erstmals hier zu bewundern ist eine Gruppe schwarz-weißer Tinkerpferde. Auch wenn bei unserem Besuch ausgerechnet das Führpferd pausieren muss, gelingt eine ansprechende Trickfolge mit Gegenlauf und Pirouetten.


Duo Kotenyov, Orlandito, Truppe Demian

Auch ist dem Circus Harlekin in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, herausragende Newcomer zu engagieren, die später große Karriere gemacht haben. So wird es auch mit dem Duo Kotenyov sein, das beim Besuch von Vizepräsident Urs Pilz im Circus Harlekin den Vertrag für die Teilnahme am Internationalen Circusfestival von Monte Carlo unterzeichnen durfte. Nachdem Ilya Kotenyov zuvor mit männlichen Partnern am Schleuderbrett und an den Strapaten arbeitete, zeigt er nun mit seiner Ehefrau Regina Eberts eine Zopf- und Zahnhang-Nummer der Spitzenklasse. Mal schweben beide an ihren Haaren und absolvieren gemeinsam Figuren in der Luft, mal hängt sie an ihrem Schopf und er darunter im Zahnhang an einer Schlaufe, die an ihrem rechten Fuß befestigt ist. Es folgen ein doppelter Zahnhang – nun mit ihm in der tragenden Rolle – sowie das Ausdrehen der Partnerin in einem rasanten Wirbel im Zopfhang. In seiner nächsten Reprise erfährt Orlandito, dass das Musizieren in der Harlekin-Manege verboten ist. Nachdem er im weiten Strahl spritzende „Tränen“ weint, bekommt er seine Trompete zurück. Mit Power-Musik, starken Tricks und offensivem Auftreten heizen die vier Jungs der Truppe Demian die Stimmung kräftig an. In schlichten, coolen Outfits mit Jeans und weißen T-Shirts rotieren sie um zwei hintereinander angeordnete Reckstangen oder fliegen von Stange zu Stange. Im Zusammenspiel mit den die Manege fegenden Requisiteuren leitet Orlandito die Pause ein.


Duo Nazu, Duo Kotenyov, Orlandito

Hälfte zwei eröffnen die beiden Herren des Duos Nazu mit ihren Keulenjonglagen. Rücken an Rücken stehend halten sie gemeinsam sieben Stück, bei Passings in klassischer Gegenüberstellung gar acht Keulen in der Luft. Auch im zweiten Teil ist das Duo Kotenyov mit einer attraktiven Luftnummer vertreten. Diesmal werden anspruchsvolle Tricks am Flying Pole präsentiert – die meiste Zeit gemeinsam, aber auch im Solo. „Die with a smile“ liefert die stimmungsvolle musikalische Begleitung, live gespielt vom sechsköpfigen Orchester, das viel zum Gelingen und zum Flair der Vorstellung beiträgt. Am Ende dreht sich die Dame rasant in einem Handwirbel. Attraktiv ist auch das Ehepaar selbst, sowohl die Dame als auch der muskulöse Herr, dessen kunstvolle Tattoos auf dem Oberkörper ein geschlossenes Hemd ersetzen können. In seiner originellsten Szene gefällt Orlandito als Magier. Gemeinsam mit einem Mädchen aus dem Publikum macht er sich daran, einen Hasen in eine leere Glasbox zu hexen. Nachdem dies anfangs nicht gelingen mag, werden immer größere Zauberstäbe herbeigebracht. Mit einem Exemplar von wahrhaft riesigem Ausmaß gelingt die Übung schließlich.


Apple Girma, Truppe Demian, Finale

Für die zweite Dressurnummer im Programm sorgt Fatima mit ihren Katzen. Die Tiere balancieren über eine schmale Stange oder hangeln sich daran entlang, umkreisen den Kopf der Tierlehrerin auf deren Schultern oder glänzen bei weiten Sprüngen von Podest zu Podest. Aus großer Höhe springt schließlich einer der Stubentiger in die Arme der Tierlehrerin, die von ihrem Partner („Mr. Jumping) unterstützt wird. Noch einmal erleben wir Apple Girma, nunmehr in ihrer Hauptnummer als Kontorsionistin. Zu einem ruhigen Popsong arbeitet sie im weißen Outfit auf einem runden Tisch auch schwierige Figuren mit einem Lächeln. Beim Mundstand am Ende benötigt sie noch eine Stütze unter den Schultern. Mit einer letzten Reprise, nunmehr als Basketballer im Zusammenspiel mit dem Publikum, leitet Orlandito zur Schlussnummer über. Diese bietet ein weiteres akrobatisches Highlight, denn die vier Artisten der Truppe Demian starten zu spektakulären Höhenflügen von der Russischen Schaukel. Im ersten Teil der Nummer überqueren sie im Flug ein eindrucksvolles Hochreck oder fangen sich daran zwischendurch für weitere Drehungen, ehe sie auf der Bodenmatte landen. Dann wird das Reck abgebaut und es folgen waghalsige Salti, Pirouetten und Sprungkombinationen direkt zur Matte. Bevor Orlandito wieder in seinem Gitterbett schläft, nunmehr im Clownskostüm statt im Nachthemd, lässt sich das Ensemble nochmal im Finale feiern.

Bei Standing Ovations des zahlreich erschienenen Publikums blicken wir in die glücklichen Gesichter der Artistinnen und Artisten in der Manege. Sie dürfen sicher sein, ihr Publikum überzeugt, begeistert und mitgerissen zu haben. Sie haben den schönsten Lohn ihrer Arbeit erreicht. Ohne den Circus, in dem sie aufgewachsen ist, könne sie nicht leben, bekennt Nicole Pichler in diesem Sinne im Gespräch mit Chapiteau.de. Und wir werden weiter Jahr für Jahr den weiten Weg ins Berner Oberland auf uns nehmen, um unseren Harlekin zu erleben und uns an seinen Programmen zu erfreuen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll