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Die
Vorstellung wirkt in Summe, nimmt den Zuschauer vollends für
sich gefangen, bewegt ihn. Keine leichte Aufgabe also, sie zu
würdigen. Starten wir bei den Machern. Frédéric Zipperlin ist
der Direktor des Cirque Bouffon, der 2025 seit 20 Jahren
besteht. Auf der Rückseite des Programmhefts wird das
Unternehmen als „internationales Show-Format im Stile des
französischen Nouveau Cirque“ charakterisiert. Für „Carrousel“
verantwortet Frédéric Zipperlin die Idee, Kreation sowie Regie.
Co-Direktorin ist seine Ehefrau Anja Krips, die wir in der Rolle
der Circusdirektorin auf der Bühne erleben. Zudem führt sie in
Köln einen Feinkostladen mit Restaurant namens „Le Bouffon“.
Co-Regie sowie Dramaturgie der aktuellen Produktion liegen bei
Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen. Die Musik hat Sergej
Sweschinski komponiert.

Cirque
Bouffon in Mainz-Kastel
Gespielt
wird in einem weißen Chapiteau mit roten Applikationen, das von
vier Masten getragen wird. An diesem wunderbaren Sommerabend am
Rheinufer in Mainz-Kastel lädt der Loungebereich davor zum
Verweilen. Am Barwagen gibt es Erfrischungen und kleine
Köstlichkeiten zu Essen. Der Vorplatz sowie der vordere Bereich
des Spielzelts sind mit nostalgischen Gegenständen liebevoll
dekoriert. Den Einlass macht Frédéric Zipperlin
höchstpersönlich. Da die Vorstellung nicht ausverkauft ist,
platziert er die Gäste recht frei. Um die erhöhte Rundbühne
finden sich drei Reihen mit Stühlen, dazu gibt es vier Gradins
mit jeweils fünf gepolsterten Bankreihen. Die vier Zwischenräume
werden später als Eingänge für die Artisten genutzt. Damit ist
für ein intimes Erleben gesorgt.

Das „Carrousel“
im Chapiteau
Die
Spielfläche ist komplett von einem prächtigen nostalgischen
Karussell ausgefüllt. Die roten und weißen Stoffbahnen ringsum
verhüllen noch die Sicht auf das Fahrgeschäft. Die Bühne ist
drehbar, was hier nicht elektrisch funktioniert, sondern mit der
Muskelkraft der Akteure. Den Auftakt machen drei Frauen. Nastja
Schkinder sorgt in einem der Eingänge mit einer Spieluhr für die
musikalische Begleitung. Frau Direktor, Anja Krips, begrüßt uns
in edler Robe und Clownin Noémie Pichereau wagt in der Rolle der
Putzfrau neugierig erste Blicke hinter die Vorhänge des
Karussells, bis am Ende alle geöffnet sind. Da steht ein Mann in
Zwangsjacke, der diese erst viel später ausgezogen bekommt. Da
gibt es eine lebendige Giraffe. Da posiert eine junge Frau neben
einem Holzpferd. Letztendlich stellt sich hier das Ensemble auf
höchst originelle Weise vor. Dessen Mitglieder begleiten uns
ausdrucksstark durch die gesamte Show. In immer neuen,
eigenständigen Szenen überraschen sie uns oder sie unterstützen
einzelne Artisten bei ihren Soli. Die übergeordnete Geschichte
wird durchgehend erzählt. Immer passiert etwas, nie gibt es
Leerlauf und damit Langeweile. Das Karussell wird zunächst nach
und nach ab- sowie gegen Ende wieder aufgebaut. Beneidenswert,
welche Kreativität hier an den Tag gelegt wird. Der
Spannungsbogen bricht nie ab.
 
Anja
Knirps, Noémie Pichereau
Zwei
Personen nehmen dabei ganz besondere Rollen ein. Anja Krips
verkörpert die Circusdirektorin souverän. Sie spielt die Chefin
der Compagnie, die ihre Artisten zusammenhält und dem Publikum
das Spektakel präsentiert. Das tut sie sogar singend mit
wunderbarer Stimme. In einigen Szenen ihre Gegenspielerin ist
Noémie Pichereau. Die Clownin aus Frankreich mit dem langen,
umhäkelten, hochstehenden Zopf gibt die Putzfrau. Eine, die
weiß, wo es langgeht und das auch ihren Mitmenschen
kommuniziert. Ihr Auftreten ist hinreißend. Sie beherrscht die
leisen Töne genauso wie die lauten. Auch wenn sie ihrer Rolle
entsprechend etwas ruppiger agiert, tut sie das immer äußerst
liebevoll. Herrlich, wenn sie ein sich über die Bühne bewegendes
Akkordeon dressiert. Oder wenn sie vor der Pause in einem
nostalgischen Fluggerät über der Szenerie schwebt.
Schlussendlich bekommt sie von der Direktorin ein Livree
überreicht und wird so Teil der Circusgemeinschaft. Zusätzlich
setzt sie sich selbst eine Krone auf. Diese gebührt Noémie
Pichereau auch außerhalb der Handlung. Schlichtweg für ihr
königliches Spiel.
  
Katell
Boudrandi-Saj, Johanna Gorzellik, Henrike Lechler
Die
Artisten haben ihre Ausbildung an verschiedenen renommierten
Schulen erhalten. Zumeist an solchen, die neben dem rein
akrobatischen Training auch Wert auf die darstellerischen
Fähigkeiten legen. Den Auftakt macht Katell Boudrandi-Saj. Ihre
Arbeit am Tanztrapez beginnt sie im Kostüm der Giraffe, die sie
als Teil des Karussells verkörpert. Schnell legt sie den
Tierkopf mit langem gescheckten Hals ab, um mit ihrer
wunderschönen Kür unsere Blicke Richtung Kuppel zu lenken und
uns träumen zu lassen. Johanna Gorzelliks Requisit hat gleich
mehrere Handstäbe. Die studierte Psychologin aus Darmstadt
bezieht sie alle in ihre außergewöhnliche Nummer mit ein. So
erleben wir Standards der Handstandakrobatik genauso wie
neuartige Figuren. Das alles in fließenden Bewegungen. Für ihre
Darbietung am Flying Pole hat Henrike Lechler ein langes rotes
Kleid als Kostüm gewählt. Das fliegt herrlich, wenn die Artistin
damit in der Luft um die Stange rotiert. In den ruhigeren
Sequenzen beweist sie große Körperbeherrschung und einen guten
Schuss Wagemut.
  
Maik
Ortmann, Stanislav Vysotskyi, Gab Douin
Dass
aufgrund der Aufbauarbeiten das Drahtseil nach der Pause
platziert ist, ist nicht ungewöhnlich. Bei Bouffon ist es aber
so, dass ein guter Teil der Vorbereitungen vor Publikum
stattfinden und somit Teil der Show sind. Dann aber kann Maik
Ortmann über das Seil laufen. Das tut er auf seine ganz eigene
Art, die schwer zu beschreiben ist. Ausdrucksstark nimmt er den
gesamten Körper mit in jede federnde Bewegung. Eine intensive
Arbeit, zu der unter anderem der Spagat auf dem Draht gehört.
Ganz besonders sind auch die Jonglagen von Stanislav Vysotskyi.
Nicht nur, weil er sich dabei auf Bälle beschränkt, sondern weil
dabei auch seine Füße zum Einsatz kommen. Es ist faszinierend,
den genialen Touren zuzusehen, die ein enormes Maß an
Geschicklichkeit erfordern müssen. Auf einer rotierenden Scheibe
noch einmal ihr rotes Kleid schweben lassen darf Henrike Lechler.
Bei ihrer zweiten Nummer geht es für Johanna Gorzellik in die
Luft. Dafür hat sie sich die Strapaten ausgesucht. Auch daran
zeigt sie einen Auftritt, der aus dem Rahmen des Üblichen fällt.
Das gilt auch für die letzte Darbietung. Auf die Idee, dass Gab
Douin am Roue Cyr arbeitet, wäre man von alleine wohl nie
gekommen. Der sympathische Kanadier hat einen stattlichen
Körper, tätowierte Arme und einen Vollbart. Die durchgängige
Trickfolge geht weit über die Standards des Genres hinaus. Es
steckt viel Kreativität und eben ein immenses Können darin.
 
Sergej
Sweschinski, Nastja Schkinder, Jana Mishenina
Auf der
Bühne nicht nur zu sehen, sondern ebenfalls zu hören, sind die
Musiker. Das sind Akkordeonistin Nastja Schkinder, Violinistin
Jana Mishenina und Kontrabassist Sergej Sweschinski. Das Trio
interpretiert furios die Originalkompositionen von Sergej
Sweschinski und beweist dabei viel Spielfreude. Die
Instrumentalisten sind ein unverzichtbarer Bestandteil der
Produktion. Stimmungsvoll unterstützt das Lichtdesign die Show. |