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Circus Monti - Tour 2024
www.circus-monti.ch ; 185 Showfotos

Wohlen, 10. August 2024: Seit 40 Jahren ist der Circus Monti der Familie Muntwyler Jahr für Jahr auf Tournee, fast die Hälfte dieser Zeit – seit 2006 – steht dieses herrliche Schmuckstück der Schweizer Circuslandschaft in jeder Saison fest auf unserer Reiseroute. Diesmal besuchen wir den Monti am Stammsitz in Wohlen im Aargau, erleben die zweite Vorstellung der noch jungen Produktion. Jedes Jahr überrascht das Unternehmen mit einem vollkommen neuen Programm. „Weil wir fliegen können“ heißt die aktuelle Show und erzählt davon, wie man das Fliegen lernen kann, wenn man nur fest daran glaubt.

Jede Monti-Produktion beinhaltet auch eine bezaubernde Geschichte. Mal finden wir uns auf dem Jahrmarkt (2019), mal in einer außergewöhnlichen Schule (2021), mal gehen wir auf eine Reise durch die Wüste (2022) und mal erleben wir, wie ein Künstler in seinem Atelier die verloren geglaubte Kreativität wiederentdeckt (2023). Zumeist waren die Handlungsstränge der letzten Saisons recht klar gezeichnet. Das neue Konzeptions- und Regieteam – Ulla Tikka, ihr Lebensgefährte Andreas Muntwyler und Gerardo Tetilla – hat sich diesmal für einen etwas abstrakteren Ansatz entschieden. Für eine Abfolge jeweils eher für sich stehender, lose zusammenhängender Bilder, auch wenn zum Abschluss der Programmtitel ganz konkret aufgegriffen wird.


Candice Bogousslavsky, Davide Romeo und Mika Formunen, Ensemble

Heller, einladender, freundlicher als bisher wirkt der Raum im Chapiteau beim Einlass. An drei Traversen und einem Ring hängt die erneuerte Lichtanlage, an der „Glühlampen“ Atmosphäre schaffen, während die Besucher ihre Plätze aufsuchen. Alles ist vom Feinsten. Das von außen liegenden Bögen getragene Zelt kommt ohne Sichtbehinderungen aus, die Tribüne ist vollständig mit Klappsitzen ausgestattet, die Lüftungsanlage schafft an diesem heißen Sommertag erträgliche Temperaturen im ausverkauften Zelt. Ein raumhoher Vorhang umgibt die Manege, und dahinter entfaltet sich zu Programmbeginn ein Schattenspiel. Verschiedenste Figuren, von der Sängerin bis zum Jongleur, können wir dabei entdecken. Im Opening lernen wir das Komikertrio kennen, bestehend aus der „Tagträumerin“ Candice Bogousslavsky, die hier neugierig zu den anderen stößt, und den beiden Gastgebern Davide Romeo und Mika Formunen, zwischen denen sie steht. In einer amüsanten Szene rund um eine Bar wirkt das gesamte Ensemble feiernd mit.


Mario Muntwyler und Mika Formunen, Davide Romeo und Candice Bogousslavsky, Mario Muntwyler

Eine abermals neue Variante seiner Keulenjonglagen präsentiert uns Direktionssohn Mario Muntwyler. Ihren besonderen Reiz erhält die Nummer in dieser Saison durch die Mitwirkung des Komikers Mika Formunen. So greift dieser zwischendurch in die Wurfmuster ein, um gemeinsam zu jonglieren, oder er hält Mario Muntwyler die Augen zu, während dieser ungerührt weiter seine Requisiten auf die Reise durch die Luft schickt. Aufeinander balancierte Keulen sind weiterhin eines von Muntwylers Markenzeichen. Als Candice Bogousslavsky und Gastgeber Davide Romeo auf einem Tisch in der Bühnenmitte ein Tänzchen wagen, werden sie von Mika Formunen gestört, so wie man sich bereits im Opening neckte. Bei der Artistin Sky Flow Artist (alias Kirstie Jarvis) ist der Name Programm, denn in ihrem ersten Auftritt zelebriert sie einen fließenden Tanz mit zwei Hula-Hoop-Reifen. Überraschend früh im Programmablauf platziert wurde eines der großen Highlights der Produktion. Davide Romeo kündigt die „alljährliche Dauer-Dreh-Challenge“ an, für die er „drei mutige Freiwillige aus dem Publikum“ sucht. Erstaunlicherweise hören die von ihm ausgemachten Mitwirkenden alle auf den Namen „Muntwyler“, wie er bei seiner Befragung feststellt. Und so liefern sich Circuschef Johannes Muntwyler und seine beiden Söhne Tobias und Mario einen äußerst amüsanten Wettbewerb im Tellerdrehen. Dieser wird durch zusätzliche Herausforderungen ergänzt: erstens auf der Rola Rola durch einen Reifen steigen, zweitens mit Löffeln, die vom Tablett in Gläser bugsiert werden, und drittens mit dem Auffangen eines Glases auf einem Mundstab, nachdem der zwischendrin befindliche Luftballon mit einer Nadel zum Platzen gebracht worden ist. Die weiteren Artisten feuern an, die Stimmung im Publikum ist enorm und letztlich ist es in dieser Vorstellung Mario Muntwyler, der den Sieg erringt. In einem herrlich nichtssagenden „Spieler-Interview“, wie man es von Profi-Fußballern nach dem Abpfiff kennt, steht er Davide Romeo nun Rede und Antwort. Es ist schön, die drei Herren Muntwyler nach vielen Jahren wieder gemeinsam in der Manege erleben zu können.


Nicole Martres, Sasha Lindner, August Rohde Aass und Tobias Muntwyler

In einem ersten von mehreren Auftritten demonstriert uns Nicole Martres auf fünf Handstäben ihr equilibristisches Können, zum Teil auch nur auch nur auf einen Arm. Die kompakte Nummer wird durch einen Spot ins rechte Licht gerückt. Und es folgt eine weitere Solistin, wenn Sasha Lindner mit scheinbarer Leichtigkeit das Vertikalseil erklimmt und oben mit Posen, Wickelfiguren und Abfallern überzeugt. Ruhig, aber dennoch akzentuiert ist die musikalische Begleitung. Für seine Rückkehr in die Monti-Manege nach mehreren Saisons hat Tobias Muntwyler es nicht bei der Mitwirkung beim Tellerdrehen belassen, sondern eine neue Version seiner Diabolonummer einstudiert. Immer noch beherrscht er das Spiel mit den übers Seil tanzenden Doppelkegeln virtuos. Alleine lässt er bis zu drei Diabolos fliegen, gemeinsam mit August Rohde Aass hält er vier von ihnen in der Luft.


Candice Bogousslavsky, Lovisa Wengerzink, August Rohde Aass und Simon Malmsten, Mario Muntwyler

Besonders gelungen ist in diesem Jubiläumsjahr das festlich wirkende Bühnenbild, das doch tatsächlich als moderne Interpretation eines großen Circus-Artisteneingangs verstanden werden kann. In der Mitte befindet sich eine Treppe, links und rechts davon sitzen die sechs Musiker unter der Leitung von Piotr Gunio auf jeweils drei Ebenen, und eingerahmt wird das Bild von zwei geschwungenen Rampen, die an elegante Showtreppen denken lassen. So ganz und gar nicht elegant kämpft sich Candice Bogousslavsky in ihren pinken Schuhen mit enorm hohen Absätzen die mittlere Treppe hinab. 750 Augenpaare sind auf sie gerichtet, während sie erfolglos versucht, ihre Unsicherheit zu verbergen. Mit den hohen Schuhen jedenfalls kann Candice nicht fliegen, und das überlässt sie nun zunächst einem Trio auf dem Schleuderbrett. Lovisa Wengerzink und ihre männlichen Partner August Rohde Aass und Simon Malmsten begeistern mit einem Festival an hohen Sprüngen, Salti und Pirouetten, zu denen sie sich gegenseitig in die Luft katapultieren. Zu Programmhälfte zwei empfängt uns wieder ein kurzes Schattenspiel hinter dem raumhohen Vorhang, bei dem wir Ring- und Keulenjonglagen erkennen. Und sogleich tritt Mario Muntwyler ins Rampenlicht, der sich erstmals an neue Jonglierrequisiten wagt, eben orangefarbene Ringe. Zunächst lässt er fünf von ihnen fliegen und kombiniert dies mit Pirouetten oder lässt sie während der Wurfmuster auf den Boden bouncen, um sie wieder zu fangen und weiter zu jonglieren. Schließlich hält er bis zu acht Ringe in der Luft, wobei ihm am zweiten Tag der gerade begonnenen Saison der ein oder andere Patzer noch nicht erspart bleibt.


Ensembleszenen, Nicole Martres und Candice Bogousslavsky

In einer der Ensembleszenen, die für jedes Monti-Programm prägend sind, kreisen einige Artistinnen und Artisten auf Hoverboards über die Bühne, bekleidet mit weißen, innen beleuchteten Reifröcken – ein Bild wie bei einem festlichen Ball. Auch auf Hoverboards, aber Tabletts jonglierend mischen sich die beiden Komiker unter sie. Candice Bogousslavsky hat ihren nächsten Einsatz bei der folgenden Nummer von Nicole Martres. Die Clownin kann hier immer noch nicht fliegen, doch ihre Bühnenpartnerin tut es, am eigenen Zopf hängend, wobei sie von Candice in Schwingungen und Drehungen versetzt wird. Auch ein Wirbel gehört zu der Darbietung, deren Genre für Monti neu und unerwartet ist. Zugleich wird die oft traditionell verpackte Disziplin hier auf erfrischend-fröhliche Weise neu interpretiert. „Was ist Realität?“ Dieser Frage widmet sich Clown Mika Formunen, ehe er sich schnell in einen Kampf gegen die Tücke des Objekts, hier in Form seines Mikrofons, verwickeln lässt. Das Bühnenbild mit den Stufen und Rampen mit Showtreppen-Flair kommt zu vollen Ehren, als es von den Clowns zu komischen Zaubereien nach Großillusions-Art und vom Artistenensemble zu einem großen Tanz im Revuestil genutzt wird.


 Sky Flow Artist, Nicole Martres, Marie Binda und Ole Dampe

Ernsthafter wird es wieder, als Sky Flow Artist nunmehr fünf Hula-Hoop-Reisen um Arme, Rumpf und Beine kreisen lässt. Dabei steht sie auf einem Tisch in der Bühnenmitte, die Reifen leuchten im abgedunkelten Zelt. Ein stimmungsvolles, zauberhaftes Bild. Der Tisch kommt gleich nochmal zum Einsatz: Das Komikertrio bringt darauf eine Persiflage auf die „schwebende Jungfrau“. Freilich sind es hier die Herren, die es mit dem Schweben – pardon: fliegen – versuchen, doch leider klappt es immer noch nicht so richtig. Hand auf Hand arbeiten Marie Binda und Ole Dampa, dies inmitten der sich um die Bühne drehenden Bahnen des Schattenspiel-Vorhangs und gemeinsam mit Kollegen des Schleuderbrett-Acts. Ein effektvolles Bild, zu dem auch noch musikalische Überraschungen hinzukommen. Denn der so typische, verträumte Stil der Monti-Musik wird in diesem Jahr von modernen Sounds ergänzt, die an einen Club erinnern. Die vielseitige Nicole Martres verblüfft nach Handstand und Zopfhang auch noch mit ihrem kontorsionistischen Können, dies im heiteren Widerstreit mit zwei „Krokodilen“, dargestellt von auf Hoverboards gestützt liegenden Ensemblemitgliedern in geschuppten Kostümen. Und dann ist es soweit! Nach mehreren Anläufen im Laufe der Show gelingt Candice und Mika Formunen aus unserem sympathischen Komikertrio tatsächlich das Fliegen, an dünnen Drahtseilen schweben sie durchs Zelt, angefeuert von Davide Romeo. So wird auch Hand-auf-Hand-Akrobatik vermeintlich kinderleicht. In einer Reprise seiner Darbietung lässt Tobias Muntwyler noch einmal ein Diabolo auf einer langen Leine fliegen. Und dann folgt das, was ansonsten in jeder Monti-Show Teil des Finales ist: ein Vertreter der Familie Muntwyler richtet warme Worte ans Publikum. Zum 40-jährigen Bestehen des Circus Monti tun Vater Johannes und Sohn Mario es erstmals gemeinsam. Sie erinnern an die Gründung des Circus 1985 und berichten, dass ihnen die Geschichte ihres Unternehmens wie der Traum vom Fliegen vorkommt. Ausgehend von dem großen Wagnis, sich von „privat“ kommend in diese Branche zu wagen, sei man in vier Jahrzehnten vom bloßen „fliegen wollen“ inzwischen zum „fliegen können“ gelangt. Auch wenn sich seit 1985 viele Änderungen ergeben haben, „die Liebe zum Circus bleibt erhalten“, formuliert Juniorchef Mario Muntwyler. Und dann folgt die Schlussnummer, die – wie könnte es anders sein – vom Fliegen handelt. Marie Binda und Ole Dampe faszinieren bei ihrer Darbietung am Fangstuhl, er als starker Porteur, sie als elegante Fliegerin. Außer Hand- und Fußwechseln erleben wir auch höchst anspruchsvolle Flugpassagen mit Salti. Kräftigen, begeisterten Applaus erhält dieses Programm beim Heimspiel in Wohlen. Sicher sind die Aargauer stolz auf dieses Unternehmen. Dessen äußeres Bild strahlt durch absolute Sauberkeit und Gepflegtheit, verzaubert mit nostalgischem Flair bei Traktoren und Wagenpark und beeindruckt zugleich mit Modernität im klimatisierten Zelt unter Bogenmasten.

Der verträumte Stil der wundervoll in Szene gesetzten Monti-Programme lässt nicht vergessen, dass es nur ganz wenige Circus-Unternehmen gibt, die derart professionell geführt werden. Indem sie ihr Unternehmen auf verschiedene Geschäftsfelder durchdacht diversifiziert hat – eine seit 2015 verkürzte Circustour, die große Zeltvermietung, Wintervarieté und Kulturtage –, beweist die Familie Muntwyler, dass es zu ihrer Art der künstlerischen Höhenflüge gehört, dabei wirtschaftlich auf felsenfestem Grund zu stehen. Was 1985 als Wagnis begonnen haben mag, stellt sich heute als ein Musterbeispiel eines modernen Circusunternehmens in Europa dar.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll