Bestandteil dieser
Tour war ein Weihnachtsgastspiel in Luzern. Dieses war offenbar
so erfolgreich, dass daraus eine Tradition werden soll. Daher
wird die Tour 2022 wiederum mindestens bis zum Jahresende
dauern. Dafür wird nach dem Mitte Juni stattfindenden Gastspiel
in Basel eine mehr als einmonatige Pause eingelegt.
Chapiteau
mit beleuchteten Rundbögen
Alle wie immer,
das gilt zum Glück auch wieder für die Rahmenbedingungen des
Circusbesuchs. Für den Einlass muss niemand mehr nachweisen,
dass er geimpft, getestet oder genesen ist. Eine Maske ist nicht
erforderlich und das Chapiteau darf bis auf den letzten Platz
gefüllt werden. So zumindest in Rapperswil. Das Publikum strömt
zu den ersten Vorstellungen des Jahres in die strahlend weißen
Zeltanlagen. Im riesigen Gastronomiebereich laden elegante
Sitzgruppen zum Verweilen. Das Angebot umfasst etwa Champagner,
Burger und Pizza. Aber auch die Nachfrage nach Circus-Klassikern
wie Bratwurst und Popcorn wird befriedigt. Das Chapiteau bietet
dank bequemer Klappsitze und fehlender Masten im Inneren besten
Komfort. Die beiden außen liegenden Rundbögen sorgen seit 2019
für einen freien Blick auf das Geschehen. Jetzt glitzern sie
dank vieler blinkender Lämpchen auch noch in der Dunkelheit.
Opening mit
Bingo
Alles wie immer
auch bei der Show? Das lässt sich nicht so einfach beantworten.
Denn nach dem Jubiläumsprogramm 2019 wurde die Machart deutlich
moderner, rockiger. 2020 gab es gar eine Kooperation mit Flic
Flac. Offen ist, ob das der neue Knie-Stil ist oder ob man in
der unmittelbaren Zeit nach dem 100-Jahre-Geburtstag einen
temporären Kontrast setzen will. In diesem Jahr wird der neue
Stil auf jeden Fall fortgeführt. Die Technik ist beeindruckend.
Weiterhin im Einsatz ist die Rundbühne, welche mit
Beleuchtungselementen versehen ist, Wasserfontänen spritzen und
Regen aus der Kuppel aufnehmen kann. Wann immer sie nicht
benötigt wird, wird sie unter das hohe Zeltdach gezogen.
Aufwendige Feuereffekte kommen ebenfalls wieder zum Einsatz.
Beim Finale und beim Auftritt der Truppe Extreme Light schweben
beleuchtete Drohnen über der Manege und bilden immer neue,
faszinierende Formationen. Die Beleuchtungstechnik sucht in
einem Circus ihresgleichen. Dadurch wird die Show optimal in
Szene gesetzt, das Ergebnis ist phänomenal. Ein Aufwand wie bei
einer großen Konzertproduktion, der allerdings das Reisen
erschwert. Die Soundtechnik sorgt dafür, dass die Klänge des
Orchesters unter der Leitung von Ruslan Fil optimal ausgespielt
werden. Komplett neu besetzt ist der artistische Part. Die
Prolongation der Motorradspringer ist nur auf dem Papier eine
solche, hält die Truppe doch eine sensationelle Überraschung
parat. Neue Pferde und ein Manegendebüt hat der Bereich der
Tierdressuren parat. Die drei Headliner des Programms kommen wie
so häufig nicht aus der Circuswelt. Sie waren bereits in jeweils
einem der beiden vergangenen Jahren dabei und teilen sich nun
den Platz auf den Plakaten.
Bastian
Baker
Da ist zunächst
Bastian Baker. 2021 war er der erste Sänger als Gaststar bei
Knie. Wie damals eröffnet er die Show gemeinsam mit einer
Bingo-Formation. Von Geraldine Knie aus dem Off angekündigt,
nimmt er locker die Stufen der Treppe, die ihn vom
Orchesterpodium auf die Bühne führen und singt seinen Opener „Here
we go“. Später begleitet der blendend aussehende 30-Jährige
Ksenia Bereziuk bei ihrer Akrobatik an Tüchern und geht kurz
selbst mit in die Luft. Mit Ivan Frédéric Knie zeigt er eine
doppelte Stehendreiterei auf jeweils zwei Friesen. Dies ist die
Einleitung zu einigen seiner Songs, zu denen er Gitarre spielt.
Zudem begleitet er eine artistische Darbietung mit seinem
Gesang. Bastian Baker kommt beim Publikum bestens an und doch
hätten wir uns etwas mehr Differenzierung zu seinem
letztjährigen Engagement gewünscht.
Ursus &
Nadeschkin
Diese Abwechslung
bringen Ursus & Nadeschkin. Dabei wäre es bei ihnen durchaus
legitim gewesen, noch einmal das Repertoire aus 2020 zu spielen,
war es doch nur in wenigen Städten zu sehen. Zudem waren nahezu
alle ihrer Stück neu für Knie geschrieben und rundum
überzeugend. Mit ihrem ganz eigenen „Töff“ jagen sie über das
Gradin. Es folgt das aus früheren Bühnenprogrammen bekannte „Schönenabigwünsche“.
Das „Korrekturfoto“ für das Plakatmotiv machen sie jetzt
gemeinsam mit Bastian Baker, der sich zuvor lautstark auf
Französisch über den Fauxpas beschwert. Die großen Buchstaben,
die Nadeschkin dafür herbeibringt, spielen im weiteren Verlauf
des Abends eine wichtige Rolle. Mit deren Hilfe kündigen sie die
Pause an. Das „L“ oder „Es L“ führt rein sprachlich zu einem
Esel, der dann auch leibhaftig in der Manege erscheint und sich
die Witze des Duos anhören darf. Zunächst ist der Vierbeiner
namens Ferdinand nicht so begeistert, dann lacht er aber
sichtbar. Mit grandiosem Sprachwitz begeistern die Komiker immer
wieder. Ihre Gegensätze arbeiten sie besonders schön bei der
Reifenakrobatik von Ursus heraus, der konzentriert und auf
Perfektion bedacht jongliert. Und das tut er nebenbei bemerkt
ganz virtuos. Seine Manegenpartnerin allerdings hat nichts
anderes zu tun, als währenddessen im Jockeydress seelenruhig
eine Rennkuh durch den Ring zu führen. Daraus entspinnt sich ein
urkomisches Wortgefecht. Am Ende jagt Nadeschkin hoch zu Kuh
Jongleur Ursus über das Sägemehl. Ergänzend dazu erleben wir sie
mit kürzeren Einlagen auf dem Gradin. In einem begleitet von
ihren Lookalikes im Format S. Leider nicht mehr dabei sind die
noch von 2002 bekannten Kartonrössli und die Action auf einer
Slackline. So oder so sorgt das Komikerduo mit seinen äußerst
kreativen und brillant gespielten Nummern für allerbeste
Unterhaltung.
Maycol Knie
junior, Chanel Marie Knie, Ivan Frédéric Knie
Die
Pferdedressuren werden in diesem Jahr von der achten Generation
der Familie Knie präsentiert. Dabei stiehlt der vierjährige
Maycol junior allen die Show. Schließlich gibt der jüngste
Spross sein Manegendebüt. Bis Weihnachten galt sein größtes
Interesse noch Traktoren aller Art. Dann entschloss er sich,
doch auftreten zu wollen. Zunächst präsentiert er ein Pony.
Schon sein Winken ins Publikum lässt ihm die Herzen der
Zuschauer zufliegen. Bei der Vorführung unterstützt wird er von
seiner Schwester Chanel Marie. Diese leitet sodann souverän
sechs Ponys an, die - wie schon 2019 - Puppen auf dem Rücken
haben, die an Chanel Marie erinnern. Sechs braune Vollblutaraber
hat Ivan Frédéric Knie neu ausgebildet und bringt sie erstmalig
gemeinsam mit sechs weißen Arabern zusammen in die Manege. Es
ist faszinierend zuzusehen, wie der junge Tierlehrer seine
Schützlinge mit Gesten, Stimme und Körperbewegungen lenkt. Man
spürt das intensive Vertrauensverhältnis, die Konzentration bei
Zwei- und Vierbeinern sowie das enge Miteinander. Am
Premierenabend läuft die Nummer einwandfrei. Es sind viele
anspruchsvolle Tricks enthalten. So etwas das Queren der braunen
mit den weißen Pferden in der Manegenmitte. Mit dieser Dressur
hat Ivan Frédéric Knie seine bislang überzeugendste Arbeit
abgeliefert. Vier Korbpferde schließen sich an. Auch hier
erleben wir eine wunderbare Choreographie. Der 20-Jährige
dirigiert auch die beiden Pferde, die auf den Hinterbeinen
laufen, während seine Geschwister darauf sitzen. Bei Chanel
Marie ist es ein Friese, bei Maycol junior ein braunes Pony.
Schade nur, dass es bei diesem Pferdeblock bleibt, was die
Tiervorführungen angeht. Gerade dafür ist der Circus Knie
vollkommen zu Recht bekannt. Hier würden wir in den kommenden
Jahren gerne wieder mehr sehen. Und auch Geraldine Knie und
Maycol Errani wieder in der Manege erleben.
Priscilla
Errani, Duo Olmos, Alex Michael
Den artistischen
Part eröffnet Alex Michael. 2007 war er als Teil der
Flugtrapez-Formation Flying Michaels beim Schweizer
National-Circus. Seit einigen Jahren ist er im Solo unterwegs
und strapaziert mit Deckenlauf sowie Sprüngen von Trapez zu
Trapez die Nerven des Publikums. Das alles ohne Sicherung. So
lässt er auch das Premierenpublikum in Rapperswil mitfiebern,
zumal sein Apparat im Knie-Chapiteau in großer Höhe hängt. Rafa
und Paco Olmos begeben sich ebenfalls in die Luft. Gegenseitig
katapultieren sich die Spanier mit einem Schleuderbrett nach
oben. Schwierige Schrauben und Salti sehen bei ihnen ganz easy
aus. Die Brüder sind einfach locker drauf. In den vergangenen
beiden Jahren erlebten wir Priscilla Errani gemeinsam mit
Partner Marco Moressa bei Knie. Damals als präzise Schützin mit
der Armbrust. Nun lässt sie charmant Hula Hoop-Reifen um ihren
Körper kreisen. Wenn ihr zum Schluss immer mehr Reifen aus
großer Entfernung zugeworfen werden, steht Priscilla Errani im
Regen, der aus der Kuppel herabfällt. Ein herrlicher Effekt, der
ihre eigentliche Arbeit nicht gerade einfacher macht. Auf
spektakuläre Effekte setzt auch die Extreme Light Dance Crew.
Die Tänzerinnen und Tänzer aus der Ukraine sowie Russland treten
im Dunkeln auf. Da ihre Kostüme in immer wieder neuen Varianten
leuchten, ergeben sich faszinierende Bilder voller Dynamik. Eine
Show der Überraschungen, die zudem überaus innovativ ist. Mit
dieser Partystimmung geht es in die Pause. Lichteffekte spielen
auch zu Beginn des zweiten Teils eine wichtige Rolle. Gemeinsam
mit einer Artistin und vier Artisten ist Guido Errani in einer
rasanten Trampolin-Darbietung zu erleben. Zwischen den zwei
Trampolinen steht eine Metallkonstruktion, ähnlich einem Haus.
Diese ist mit LED-Wänden besetzt. Darauf spielt sich die
begleitende Lichtshow ab.
Dima Shine,
Duo El Beso, Mad Flying Bikers
Nachdem sie die
Show artistisch und tänzerisch gemeinsam mit Bastian Baker
eröffnet haben, erleben wir die Bingo-Mitglieder beim Abbau der
aufwendigen Requisiten erneut. Seit 2009 sind Mitglieder dieses
Circus-Theaters aus Kiew Bestandteil der Knie-Programme. Immer
in neuen Disziplinen, neuen Kostümen und neuen Choreographien.
Vor sechzehn Jahren wurde Dima Shine beim Cirque de demain für
seine Handstand-Equilibristik mit Gold ausgezeichnet. Seine
gemeinsam mit Jongleur Viktor Kee inszenierte Kür an einem
Masten fasziniert heute noch genauso. Kraftraubende Tricks
bekommen durch die fließenden Bewegungen eine bewundernswerte
Leichtigkeit und Eleganz. Ein Mast ist es auch, an dem das Duo
El Beso in die Luft geht. Am Flying Pole sorgen Kateryna und
Levgen noch einmal für Nervenkitzel. Ihre sinnliche Kür enthält
einige riskante Tricks. Etwa, wenn Levgen am Pole mit der Hand
einen Reifen hält, an dem Kateryna mit nur einer Ferse hängt.
Das attraktive junge Paar wird nicht nur durch das traumhafte
Licht bestens unterstützt, sondern ebenfalls durch den Gesang
von Bastian Baker. Das Bingo-Ensemble leitet über zur furiosen
Schlussnummer, die zudem von Feuersäulen begleitet wird. Die Mad
Flying Bikers zeigen ihre atemberaubenden Sprünge. Auf
Motocross-Maschinen jagen sie aus einem Auslass in der Mitte des
Gradins zu einer gegenüberliegenden Plattform. Dabei zeigen sie
spektakuläre Aktionen. Neu dabei ist in diesem Jahr ein Quad.
Auch das Gefährt mit vier Rädern fliegt rasant durch die Luft.
Der Fahrer wagt damit sogar einen Backflip, eine Art
Rückwärtssalto. Sensationell! In Windeseile verschwindet danach
der Aufbau vor dem Artisteneingang. Noch einmal wird klar,
welcher logistische Aufwand hier betrieben wird und wie
reibungslos die Umbauten funktionieren. Auch das eine enorme
Leistung, für die insbesondere der technische Direktor Maycol
Errani verantwortlich zeichnet. |